September 9, 2024
Draghis Pläne für eine wettbewerbsfähige EU

EU-Wettbewerbsfähigkeit: Draghis Investitionsplan

Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat einen umfassenden Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union (EU) vorgelegt, der am 9. September 2024 veröffentlicht wurde. In diesem Bericht fordert Draghi massive Investitionen in Höhe von jährlich 750 bis 800 Milliarden Euro, um die EU im globalen Wettbewerb mit den USA und China zu stärken. Dies entspricht einem Anstieg der Investitionen um 4,4 bis 4,7 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU, was mehr als das Doppelte der Hilfen aus dem Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg darstellt.

Draghis Diagnose der Wettbewerbsfähigkeit

Draghi konstatiert eine signifikante Produktivitäts- und Investitionslücke zwischen der EU und ihren globalen Konkurrenten. Er betont, dass ohne eine Steigerung der Produktivität Europa nicht in der Lage sein wird, eine Führungsrolle in neuen Technologien zu übernehmen oder als unabhängiger Akteur auf der globalen Bühne zu agieren. Der Bericht enthält nicht weniger als 170 Vorschläge zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in der EU, die Draghi der EU-Kommission vorgelegt hat. Diese Vorschläge umfassen sowohl allgemeine Maßnahmen als auch spezifische Untervorschläge.

Finanzierung der Investitionen

Um die geforderten Investitionen zu finanzieren, schlägt Draghi die Schaffung neuer Gemeinschaftsschulden vor. Diese Forderung stößt auf gemischte Reaktionen innerhalb der EU, insbesondere von Ländern wie Deutschland und den Niederlanden, die eine solche Maßnahme ablehnen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat jedoch ebenfalls betont, dass zusätzliche Investitionsmittel für die EU notwendig sind. Sie sieht derzeit zwei Hauptwege zur Finanzierung: höhere Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt oder die Einführung neuer Finanzquellen, auch bekannt als Eigenmittel.

Bürokratieabbau als Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit

Ein weiterer zentraler Punkt in Draghis Bericht ist der Bürokratieabbau. Draghi kritisiert die hohe Anzahl von Gesetzesakten, die seit 2019 in der EU erlassen wurden, und vergleicht diese Zahl mit den deutlich niedrigeren Zahlen in den USA. Er fordert, 25 Prozent der Berichtspflichten abzubauen und schlägt die Schaffung eines eigenen Vizepräsidenten für Bürokratieabbau innerhalb der Kommission vor. Draghi argumentiert, dass die derzeitige Regulierung, die stark auf Vorsorge ausgerichtet ist, Innovationen behindert, insbesondere im Technologiesektor.

Wettbewerbsfähigkeit und Klimapolitik

Draghi betont, dass der Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Kernenergie entscheidend für die Senkung der Energiepreise in der EU ist. Er fordert eine Reform des Strommarkts, um sicherzustellen, dass die niedrigeren Preise erneuerbarer Energien auch beim Endverbraucher ankommen. Zudem schlägt er vor, den Energiebinnenmarkt zu vollenden und den gemeinsamen Einkauf von Gas zu stärken. Draghi möchte auch die Entwicklung grüner Technologien fördern, ähnlich dem amerikanischen „Inflation Reduction Act“ (IRA), und fordert Quoten für die lokale Produktion.

Fokus auf die Automobilbranche

Ein besonderes Augenmerk legt Draghi auf die Automobilindustrie, die in der EU für etwa 14 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze verantwortlich ist. Er fordert einen eigenen Industrieaktionsplan für die Branche, um sicherzustellen, dass die EU im internationalen Wettbewerb, insbesondere mit den USA und China, mithalten kann. Draghi spricht sich auch für einen technologieneutralen Ansatz aus, der Platz für Fahrzeuge lässt, die mit klimaneutralen E-Fuels betrieben werden.

Außenwirtschaftspolitik und Handel mit China

Draghi hebt die Bedeutung einer aktiven Außenwirtschaftspolitik hervor, um den Zugang zu wichtigen Rohstoffen zu sichern. Er warnt davor, dass die EU nicht in eine stärkere Abschottung gegenüber China verfallen sollte, sondern eine gemischte Strategie verfolgen sollte, die sowohl den Schutz der heimischen Produktion als auch die Sicherstellung des Zugangs zu notwendigen Ressourcen umfasst.

Reform der Wettbewerbspolitik

Ein weiterer Vorschlag von Draghi betrifft die Reform der Wettbewerbspolitik. Er möchte, dass die Wettbewerbspolitik stärker im Sinne einer europäischen Agenda ausgerichtet wird, die die Förderung von Innovationen und wirtschaftlicher Sicherheit in den Vordergrund stellt. Draghi schlägt vor, dass Subventionen, die dem Gemeinschaftsinteresse dienen, gefördert werden sollten, anstatt sich ausschließlich auf die Verhinderung von Marktverzerrungen zu konzentrieren.

Neue Abstimmungsverfahren und Entscheidungsprozesse

Draghi kritisiert die langsamen Entscheidungsprozesse innerhalb der EU und schlägt vor, die qualifizierte Mehrheitsentscheidung auf mehr Politikfelder auszudehnen. Dies könnte dazu beitragen, dass gleichgesinnte Länder bei bestimmten Projekten schneller und effektiver handeln können.

Fazit

Insgesamt zeigt Draghis Bericht, dass die EU vor erheblichen Herausforderungen steht, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Die geforderten Investitionen sowie die notwendigen Reformen in der Bürokratie und der Wettbewerbspolitik sind entscheidend, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Die Umsetzung dieser Vorschläge wird jedoch auf politisches Widerstandstoßen, insbesondere in Bezug auf die Finanzierung durch Gemeinschaftsschulden, stoßen. Es bleibt abzuwarten, wie die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten auf diesen umfassenden Plan reagieren werden.

Quellen: F.A.Z., tagesschau.de, Handelsblatt, Telepolis, ZEIT ONLINE.

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