Die Spannungen zwischen den asiatischen Großmächten Indien und China haben in den letzten Jahren immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen im Himalaya geführt. Nun gibt es jedoch Grund zur Hoffnung: Beide Länder haben ein Abkommen zur Entschärfung ihres Grenzstreits geschlossen.
Wie die indische Regierung mitteilte, wurden Regeln für Militärpatrouillen beider Seiten entlang der umstrittenen Demarkationslinie in der Grenzregion Ladakh im Himalaya festgelegt. Der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar bezeichnete die Einigung als „positive Entwicklung“ und „Grundlage für Frieden und Ruhe in den Grenzregionen“. Auch ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums bestätigte die Vereinbarung.
Die Ankündigung erfolgte kurz vor Beginn des Gipfeltreffens der Brics-Staaten in Russland, an dem sowohl der indische Premierminister Narendra Modi als auch der chinesische Präsident Xi Jinping teilnehmen. Das Abkommen könnte ein Zeichen der Entspannung sein und ein bilaterales Treffen der beiden Staatschefs ermöglichen. Zuletzt hatten sich Modi und Xi am Rande des Brics-Gipfels in Südafrika 2023 gesehen.
Der Grenzkonflikt zwischen Indien und China hat seinen Ursprung in der Kolonialzeit. Nach dem Abzug der britischen Kolonialherren im Jahr 1947 hinterließen diese eine unklare Grenzziehung im Himalaya. In den 1990er-Jahren einigte man sich auf die Einrichtung der sogenannten „Line of Actual Control“ (LAC) als vorläufige Demarkationslinie.
Dennoch erheben beide Länder an mehreren Stellen entlang der rund 3440 Kilometer langen Grenze konkurrierende Gebietsansprüche. Immer wieder kommt es zu Provokationen und militärischen Zwischenfällen. Im Jahr 2020 eskalierte die Situation, als sich chinesische und indische Soldaten in der Region Ladakh gewaltsame Auseinandersetzungen lieferten. Bei den Kämpfen, die mit Fäusten, Knüppeln und Steinen ausgetragen wurden, starben mindestens 20 indische Soldaten. Die Zahl der Opfer auf chinesischer Seite ist bis heute unbekannt. Es handelte sich um den blutigsten Zwischenfall in der Region seit Jahrzehnten.
Die jüngste Einigung zwischen Indien und China deutet auf eine zumindest vorläufige Deeskalation des Konflikts hin. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Indien sieht sich derzeit mit einer Vielzahl geopolitischer Herausforderungen konfrontiert. Dazu zählen die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, der amerikanische Rückzug aus Afghanistan und Krisenherde wie das Rote Meer, wo die Huthi-Rebellen und Piraten den freien Handel gefährden. Angesichts dieser Gemengelage ist Indien um eine Entspannung an der Grenze zu China bemüht.
Auch China scheint an einer Beilegung des Konflikts interessiert zu sein. Das Land versucht, nach drei Jahren der Selbstisolation während der Corona-Pandemie wieder stärker auf der internationalen Bühne Fuß zu fassen. Die Beziehungen zu vielen westlichen Staaten haben durch Chinas aggressive Außenpolitik und die Unterstützung Russlands im Ukraine-Krieg gelitten. Peking bemüht sich nun um eine „Charmeoffensive“ und versucht, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Zudem finden in den USA bald Präsidentschaftswahlen statt. Sowohl der amtierende Präsident Joe Biden als auch sein Herausforderer Donald Trump haben einen harten Kurs gegenüber China angekündigt. Peking dürfte daher bestrebt sein, vor den Wahlen keine neuen Konflikte zu provozieren.
Ob das neue Abkommen zwischen Indien und China zu einer dauerhaften Lösung des Grenzkonflikts führen kann, bleibt abzuwarten. Noch immer sind die Gebietsansprüche beider Länder ungeklärt. Auch das gegenseitige Misstrauen ist groß.
Dennoch ist die Einigung ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sie zeigt, dass beide Seiten bereit sind, den Konflikt auf diplomatischem Weg zu lösen. Ob dies gelingt, wird sich in den kommenden Monaten und Jahren zeigen.
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