September 26, 2024
Waffen im Kinderbuch und die Debatte über Militarismus und Pazifismus

Die Post der Großeltern zu Rosch-Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, kam viel zu früh. Wir konnten unseren Sohn nicht davon abhalten, das Paket zu öffnen. Als Erstes griff er zu dem Buch, das von einem Kind und seiner Angst vor Monstern erzählt. Um sich zu schützen, greift das Kind zu seinem Spielzeuggewehr und schießt auf das Monster. Auch wenn die Geschichte friedlich ausgeht, weil sich Monster und Kind anfreunden und schließlich zusammen im Kinderbettchen einschlafen, führte die Schussszene bei uns zu einer regen Diskussion. „Was ist mit euch Israelis los? Was hat eine Waffe im Kinderbuch zu suchen?“, so fing es an, und erneut diskutierten wir über Erziehung, Pazifismus und Gewalt. „Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn ein Kind mit Waffen spielt? Wird er dann zum Massenmörder, wenn er groß ist?“, schreiben die Journalisten Saba-Nur Cheema und Meron Mendel in ihrer Kolumne „Muslimisch-Jüdisches Abendbrot“ in der FAZ.

In diesen Tagen, wenn die Nachrichten über Science-Fiction-Angriffe Israels auf die Hisbollah Schlagzeilen machen, erfährt diese pädagogische Debatte eine aktuelle Note. Mit jedem Tag wird deutlicher, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten der Israelis und der Deutschen sind. Am Ende hängt das jeweilige Urteil des Kinderbuchs weitgehend von der eigenen Sozialisation ab. In Israel sind Militär und Militarismus eine Normalität. Im öffentlichen Raum sind Zivilisten und Soldaten mit Waffen nicht zu übersehen. Verkehrsinseln werden mit alten Panzern und Kampfjets dekoriert. Als Kind lernt man früh, wie man am schnellsten in den Bunker kommt, sobald Sirenen läuten.

Militärdienstverweigerung in Israel

Kinderbücher gehören zu dieser Normalität. Viele Geschichten spielen vor dem Hintergrund von Kriegen, oft geht es um Soldaten, die zu Helden werden. So kennt fast jedes israelische Kind die Geschichte von Yoni Netanjahu, dem Bruder des heutigen Ministerpräsidenten, der bei der heroischen Befreiung von größtenteils israelischen Geiseln bei der Flugzeugentführung 1976 im ugandischen Entebbe getötet wurde. Pazifist in Israel zu sein klingt wie ein Paradox. Im Judentum gibt es zwar eine lange pazifistische Tradition, die aber liegt vor allem in der Zeit der Diaspora.

Dem Alten Testament kann man Pazifismus nun wirklich nicht unterstellen. Schon Isaak, der selbst nur knapp einer Opferung durch seinen Vater Abraham entkam, segnete seinen Sohn Esau mit den Worten: „Vom Schwerte wirst du leben.“ Auch sonst geht es vielfach um Kriege, um die Eroberung des Landes Israel und eine Reihe blutiger Auseinandersetzungen in der Zeit der Könige. Erst in der Diaspora fühlten sich viele Juden zum Pazifismus hingezogen. Große Namen wie Franz Rosenzweig, Martin Buber und Albert Einstein bekannten sich zum Pazifismus, was Einstein aber nicht daran hinderte, einen entscheidenden Beitrag zur Erfindung der Atombombe zu leisten.

In Israel gibt es in jedem Jahrgang Militärdienstverweigerer. Anfang der Siebzigerjahre entstand eine Bewegung von jungen Männern und Frauen, die kurz vor ihrem dreijährigen Militärdienst standen und diesen nicht in den besetzten Palästinensergebieten leisten wollten. Damals wandten sie sich in einem offenen Brief an die Ministerpräsidentin Golda Meir. Auch nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober schrieben mehr als 200 Jugendliche einen offenen Brief unter dem Titel „Youth Against Dictatorship“ und erklärten, den Militärdienst nicht zu leisten, solange die Demokratie in Gefahr sei. Obwohl Aufrufe für Kriegsverweigerung andernorts viel Aufmerksamkeit bekommen, haben sie in der israelischen Gesellschaft bisher nur wenig erreicht. Im Jahr 2021 lag der Anteil der Militärdienstverweigerer aus ideologischen Gründen bei lediglich 0,04 Prozent. Auch die Fortsetzung des Gazakrieges hat daran kaum etwas geändert. Das liegt zum einen daran, dass auch Regierungsgegner die Notwendigkeit der Armee verstehen. Zum anderen wird die Militärdienstverweigerung vom Staat sanktioniert. In der Regel werden Verweigerer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die durchschnittlich 38 Tage Militärhaft bedeutet. Mache wurden allerdings auch bis zu 150 Tage inhaftiert.

Krieg als abstrakte Vorstellung

Auf Deutsche mag dieses Übermaß an Militarismus befremdlich wirken. Bundeswehrsoldaten sieht man, wenn überhaupt, in der Bahn, die sie in Uniform kostenfrei nutzen dürfen, natürlich unbewaffnet. Hierzulande warnen Pädagogen vor zu vielen Spielzeugpistolen im Kinderzimmer und geben Tipps für eine möglichst gewaltfreie Umgebung für Kinder. Das Motto der deutschen Friedensbewegung „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ kommt einem Israeli wie pure Naivität vor.

Doch die Zeiten haben sich auch für Deutschland spätestens seit dem Februar 2022 grundlegend verändert. Wenn auf europäischem Boden gekämpft wird und die Bundeswehr beginnt, aufzurüsten, wenn auch im Schneckentempo, müssen alte Überzeugungen einem Realitätstest unterzogen werden. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte darüber, welche Rolle das Militär in unserer Gesellschaft einnehmen soll. Ist es vielleicht gar nicht so verkehrt, in Kinderbüchern etwas über die Existenz von Waffen zu lernen – wenn die Kinder später Militärdienst leisten müssen? Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist nicht unwahrscheinlich.

Der Preis für Freiheit und Demokratie

Die Vorstellung, dass unsere beiden Söhne Militärdienst leisten müssen, bereitet uns keine Freude. Doch ist dies nicht der Preis, den man zahlen muss, um Freiheit und Demokratie zu sichern? Über dieses Thema sind wir uns selbst nicht einig. Für den einen von uns ist es selbstverständlich, das eigene Land verteidigen zu müssen. Für die andere ist der Gedanke gewöhnungsbedürftig. Für den einen ist Krieg eine reale Erfahrung – für die andere eine abstrakte Vorstellung.

Womöglich reicht es nicht mehr, von der Zeitenwende nur zu sprechen. Während Russland und China in rasanter Geschwindigkeit ihre Rüstungskapazitäten ausbauen, hinkt Deutschland hinterher. Experten des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) gehen davon aus, dass angesichts des heutigen Tempos Deutschland wohl erst in 100 Jahren sein Rüstungsniveau von 2004 wieder erreicht haben wird. Nun sind aber Diktatoren und andere Kriegstreiber auf dem Vormarsch. Und doch gibt es viele, die noch nicht umgeschaltet haben. Sie geben alte Antworten auf neue Fragen.

Wie geht man um mit einem Aggressor wie Putin? Nicht militärisch, die Ukrainer sollten sich bitte soft verteidigen, lautet der Vorschlag des ehemaligen Finanzministers Oskar Lafontaine. Er riet der demokratischen Nation, die sich seit zweieinhalb Jahren gegen den Diktator zur Wehr setzt, die Waffen niederzulegen und stattdessen „Widerstand im Kleinen“ durch zivilen Ungehorsam zu leisten, mit Generalstreiks, Arbeitsverweigerung und Protestaktionen. Am besten schickt Deutschland den Ukrainern dann lieber Sekundenkleber statt Waffen, damit sie sich vor russischen Panzern auf die Straßen kleben können. Lafontaines Ehefrau Sahra Wagenknecht (BSW) schlug vergangenes Wochenende in die gleiche Kerbe. Sie will ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und fordert Waffenstillstand, um Friedensverhandlungen zu ermöglichen. Eine merkwürdige Logik: Das Opfer soll bestraft werden, damit der Täter bereit ist, mit ihm zu verhandeln. Wagenknecht wirbt mit dem Slogan „Vernunft, Gerechtigkeit und Frieden“ – wer würde sich diesen Schlagworten schon widersetzen wollen? Ihr phänomenaler Erfolg bei den Europa- und Landtagswahlen zeigt, wie verlockend das Friedensversprechen für viele ist – auch wenn es einer Appeasement-Politik gleichkommt.

Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kolumnen/muslimisch-juedisches-abendbrot/muslimisch-juedische-kolumne-was-hat-eine-waffe-im-kinderbuch-zu-suchen-110006149.html

In seinem Buch „Die Kinder des Koran. Was muslimische Schüler lernen“ analysiert Constantin Schreiber Schulbücher aus muslimischen Ländern. „Schulbücher sind stets ein Spiegel der Gesellschaft. Hier schlägt sich nieder, wie weit sie sich kritisch-aufklärend mit ihrer Kultur und Geschichte auseinandersetzt“, schreibt der Journalist. Doch was tut sich in den Schulbüchern undemokratischer Staaten? Die Frage quält umso mehr, als immer mehr Kinder und Jugendliche aus autoritären Systemen zu uns kommen und das Gepäck der Indoktrination mitbringen.

Schreiber hat sich nach seinem großen Moscheen-Report die Schulbücher von fünf muslimischen Ländern vorgenommen. Aus mehr als einhundert wählte er für je ein Land ein Buch für ein Fach und eine Jahrgangsstufe aus. Ethik für das neunte Schuljahr im Iran, Geschichte für die sechste Klasse in Ägypten, arabische Sprache in Palästina, Sozialkunde für die sechste Klasse in der Türkei und Religion für die zehnte in Afghanistan. Schreiber analysiert die Texte und lässt eine Erziehungswissenschaftlerin und eine Sachbuchdidaktikerin die Inhalte kommentieren.

Regeln für jede Lebenslage

Beide schwanken zwischen Entsetzen und Ratlosigkeit angesichts der Gefühle, die die Schulbücher auszulösen trachten. Im Religionsbuch wird Angst geschürt. Es geht nur um Islam, andere Religionen kommen nicht vor. Im Ethikbuch geht es um das Verhalten eines wahren Muslims, um geschlechtsspezifisches Verhalten, um Bekleidung und gottgefälliges Benehmen. „Das ist keine Ethik, wie wir sie verstehen. Hier geht es um die Frage, wie handle ich als religiöser Mensch“, konstatiert eine Expertin.

Quelle: Constantin Schreiber: Die Kinder des Koran. Was muslimische Schüler lernen. Econ Verlag, Düsseldorf 2019. 304 S., 18 €.

Die Journalistin Ferda Ataman schreibt in ihrer Kolumne „Heimatkunde“ im Spiegel über den Mord an Marwa al-Schirbini. Vor zehn Jahren wurde die schwangere Frau in Dresden im Gerichtssaal erstochen. Während einer Verhandlung. Mit 16 Messerstichen. Sie starb vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes und ihres Mannes, der ihr zur Hilfe eilte. Als ein bewaffneter Polizist in den Saal stürmte, um dem Blutbad ein Ende zu bereiten, schoss er versehentlich auf Schirbinis Ehemann, weil er ihn wohl für den Täter hielt. Die Bilanz: Die Pharmazeutin Marwa al-Schirbini und ihr ungeborenes Kind sterben vor Ort. Der schwer verletzte Ehemann, damals Doktorand am Max-Planck-Institut, wird ins Krankenhaus gebracht. Der Sohn wird traumatisiert.

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Aber das ist noch nicht alles: Das Motiv des Mörders war Hass auf Muslime - nur wurde darüber zunächst nicht berichtet. Anfangs hieß es: „Zeugin nach Streit um Schaukel im Gericht getötet“. Als Marwa al-Schirbini brutal abgemetzelt wurde, befand sie sich nämlich im Gericht, weil sie ihren späteren Mörder angezeigt hatte. Er hatte sie auf einem Spielplatz in Dresden als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft. Korrekt wäre für mich also die Überschrift: „Zeugin von islamfeindlichem Rechtsextremisten getötet“. Stattdessen heißt es mitunter noch immer, sie habe sterben müssen, „weil sie ein Kopftuch trug“.

Quelle: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/muslime-in-deutschland-es-passiert-einfach-nichts-kolumne-a-1276628.html

In der taz erschien ein Artikel über die Bewaffnung von Zivilisten in Israel. Seit dem 7. Oktober gründen sich in Israel immer mehr jüdische Milizen. Für einige bringt das ein Gefühl von Sicherheit, für viele andere Angst. Mehr als 900 Bürgermilizen, auf Hebräisch „Kitat Konenut“, gründeten jüdische Israelis seitdem im ganzen Land.

Bewaffnete Bürgerwehren

Ursprünglich kommen die bewaffneten Bürgerwehren aus den Tagen vor Israels Staatsgründung, als viele jüdische Gemeinden zur Verteidigung gegen ihre arabischen Nachbarn bewaffnete Gruppen aufstellten. Nach 1948 verloren sie an Bedeutung. Die Einheiten sollen im Falle eines Angriffs als Reserve für die Polizei eingesetzt werden. Die Tausenden Freiwilligen werden dafür in Abstimmung mit den lokalen Polizeidirektionen koordiniert, trainiert und ausgerüstet. Vor dem Gazakrieg gab es weniger als einhundert von ihnen, vor allem in besonders gefährdeten Dörfern und Städten, etwa an der Grenze zum Gazastreifen sowie im Westjordanland.

Quelle: https://taz.de/Bewaffnung-von-Zivilisten-in-Israel/!5998022/

Im Zweiten Weltkrieg kämpften Muslime auf Seiten der Waffen-SS. „Die Einzigen, die ich für zuverlässig halte, sind die reinen Mohammedaner“, sagte ausgerechnet Adolf Hitler in einer Lagebesprechung am Mittag des 12. Dezember 1942. Der Gedanke war ihm so wichtig, dass er ihn vor den Stenografen des Führerhauptquartiers wiederholte: „Für sicher halte ich nur die Mohammedaner. Alle anderen halte ich nicht für sicher.“

Ähnlicher Meinung war „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler: „Was soll denn die Muselmanen in Europa und in der ganzen Welt von uns Deutschen trennen! Wir haben gemeinsame Ziele!“ Deutsche und Muslime hätten gemeinsame Feinde, sagte der neben Rüstungsminister Albert Speer und Propagandachef Joseph Goebbels mächtigste Mann des Dritten Reiches: „Der Bolschewik, England, Amerika – alle immer wieder getrieben vom Juden“, sagte Himmler einer Gruppe muslimischer Offiziere der Waffen-SS am 11. Januar 1944 auf einem Truppenübungsplatz in Schlesien.

Quelle: https://www.welt.de/geschichte/article170586818/Im-Auftrag-Hitlers-und-des-Propheten.html

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