19.10.2024
EU beschließt flexible Schuldenregeln für wirtschaftliche Stabilität und Wachstum
Nach intensiven Verhandlungen haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und das Europäische Parlament einen Kompromiss über die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) erzielt, der die Einführung neuer Schuldenregeln für die Mitgliedsländer beinhaltet. Die neuen Bestimmungen sollen sowohl der wirtschaftlichen Stabilität als auch dem Wachstum Rechnung tragen und dabei die individuellen Gegebenheiten der Länder berücksichtigen. Der SWP, der seit seiner Einführung im Jahr 1997 die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten der Eurozone regelt, war wiederholt Kritik ausgesetzt. Die bestehenden Regelungen, die ein jährliches Haushaltsdefizit von höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und eine Gesamtverschuldung von maximal 60 Prozent des BIP vorschreiben, wurden als zu starr und in aktuellen wirtschaftlichen Kontexten als nicht mehr zeitgemäß angesehen. Im Zuge der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise sowie der erhöhten Staatsausgaben zur Bekämpfung der hohen Energiepreise im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine waren die Schuldenstände vieler EU-Staaten auf Rekordniveaus gestiegen. Dies machte eine Überarbeitung des SWP unausweichlich. Die neuen Regelungen sollen mehr Flexibilität bieten und es den Mitgliedstaaten ermöglichen, auf Grundlage ihrer spezifischen wirtschaftlichen Situation und in Absprache mit der Europäischen Kommission individuelle Programme zum Schuldenabbau zu entwickeln. Ziel ist es, einheitliche Vorgaben zu vermeiden, die in der Vergangenheit teilweise kontraproduktive Effekte hatten. Die Verhandlungen wurden von einem stetigen Ringen um die Ausgestaltung der Regeln geprägt. Deutschland setzte sich maßgeblich dafür ein, dass klare numerische Vorgaben für den Abbau von Defiziten und Schulden verankert werden. Dies wurde als wichtige Voraussetzung dafür gesehen, um die finanzpolitische Stabilität in der EU zu sichern. So müssen hoch verschuldete EU-Staaten nun ein Mindestmaß beim Abbau der Defizite einhalten, während für weniger verschuldete Länder geringere Anforderungen gelten. Zugleich wird im neuen Regelwerk festgehalten, dass die bekannten Referenzwerte von 60 Prozent beim Schuldenstand und drei Prozent beim Defizit bestehen bleiben. Diese gelten jedoch weiterhin als Obergrenzen und nicht als Zielwerte. Insbesondere für Länder mit erhöhtem Schuldenstand wird ein strukturelles Defizit von maximal 1,5 Prozent des BIP angestrebt, um einen Sicherheitspuffer für Konjunkturschwankungen zu schaffen und das Überschreiten der drei Prozent-Grenze zu verhindern. Ein weiteres zentrales Element der Reform ist die Stärkung der Durchsetzung der Regeln. So wurden auf deutsche Initiative hin klare Schwellenwerte für ein sogenanntes Kontrollkonto festgelegt, das die Einhaltung der Vorgaben überwacht. Abweichungen von den Vorgaben sollen erfasst und aufaddiert werden. Die Neuerungen sind ein Versuch, eine Balance zwischen der Notwendigkeit solider Staatsfinanzen und dem Bedarf an Investitionen und Wachstum zu finden. Die Reformen sollen auch zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der wirtschaftlichen Konvergenz innerhalb der EU beitragen. Die Einigung auf die neuen Schuldenregeln ist ein bedeutender Schritt in Richtung einer stabileren und wachstumsorientierten Haushaltspolitik in der EU. Sie spiegeln das Bestreben wider, auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren und den Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer Fiskalpolitik zu geben, ohne dabei die übergeordneten Ziele der Stabilität und des Wachstums aus den Augen zu verlieren. Nun müssen die neuen Regelungen vom Rat und vom Europäischen Parlament formell angenommen werden, was jedoch als Formsache gilt. Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts wird somit in naher Zukunft ihre Wirksamkeit entfalten und die Finanzpolitik der EU-Mitgliedstaaten auf neue Grundlagen stellen.
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