Europas Sicherheit ohne die USA: Eine Standortbestimmung
Die Wiederwahl Donald Trumps und der andauernde Krieg in der Ukraine haben die Diskussionen über die europäische Sicherheitsarchitektur neu belebt. Im Zentrum steht die Frage nach einer eigenständigen europäischen Verteidigung, losgelöst vom amerikanischen Schutzschild, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 07.12.2024 berichtete. Ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Februar, an dem auch Großbritannien erstmals seit dem Brexit teilnehmen wird, unterstreicht die Brisanz dieses Themas.
Die Unsicherheit bezüglich Trumps zukünftiger Europapolitik, insbesondere im Hinblick auf die US-Truppenpräsenz, befeuert die Debatte. Laut FAZ haben sich viele europäische Staaten seit dem Ende des Kalten Krieges auf die USA verlassen und ihre Verteidigungsausgaben reduziert. Diese „Friedensdividende“ erscheint nun als Fehlkalkulation. Die deutlichen Unterschiede in der Truppenstärke zwischen den USA und europäischen Ländern wie Deutschland und Frankreich verdeutlichen die europäische Abhängigkeit. Während die USA ihre Truppenstärke in den letzten drei Jahrzehnten moderat verringert haben, haben Deutschland und Frankreich ihre Truppenstärke halbiert, so die FAZ unter Berufung auf das International Institute for Strategic Studies (IISS).
Ein weiterer Schwachpunkt ist die Abhängigkeit von amerikanischer Waffentechnologie. Über die Hälfte der europäischen Kampfflugzeuge innerhalb der NATO sind US-amerikanischen Ursprungs, berichtete die FAZ am 07.12.2024. Diese Abhängigkeit erstreckt sich auch auf moderne Aufklärungstechnik, Tankflugzeuge und Drohnen – sogenannte „Strategic Enabler“, die für Kampfeinsätze essenziell sind. Roberto Cingolani, Vorstandsvorsitzender des italienischen Rüstungskonzerns Leonardo, bemängelte laut FAZ die fehlenden europäischen Kapazitäten für Trägerraketen zum Transport von Satelliten, was den Rückstand Europas in der Satellitentechnologie gegenüber den USA verdeutlicht.
Europas Abhängigkeit zeigt sich auch im steigenden Import von Rüstungsgütern aus den USA. Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri haben sich die europäischen Rüstungsimporte zwischen 2019 und 2023 im Vergleich zu den fünf Jahren davor nahezu verdoppelt, wobei 55 Prozent der Importe aus den USA stammten. Der Ökonom Guntram Wolff von der Freien Universität Brüssel argumentiert laut FAZ, dass diese hohe Importquote nicht nachhaltig sei, da die USA ihre Produktionskapazitäten aufgrund des zunehmenden Fokus auf China selbst benötigen.
Die wachsende Bedeutung Chinas in der US-Sicherheitspolitik führt zu einer Verlagerung der Prioritäten. Wie Camille Grand vom Council on Foreign Relations in New York erläutert, hat das Pentagon für das Haushaltsjahr 2024 deutlich mehr Mittel für die „Pacific Deterrence Initiative“ als für die „European Deterrence Initiative“ eingeplant.
Europa steht vor der Aufgabe, eigene Kapazitäten für Rüstungsgüter aufzubauen und die Produktion von in Europa hergestellten Waffen zu steigern. Während es bei der Produktion von Kampf- und Transportflugzeugen europäische Projekte gibt, verweist Airbus-Chef Guillaume Faury laut FAZ am Beispiel der Panzerproduktion auf die Fragmentierung des europäischen Rüstungsmarktes.
Die tagesschau analysierte am 15.02.2024 die Frage nach der Verteidigungsfähigkeit Europas ohne die USA. Ein vollständiger Rückzug der USA würde empfindliche Lücken in der europäischen Verteidigung, insbesondere bei der Luftverteidigung, hinterlassen. Europa müsste mehr eigene Waffensysteme bereitstellen, was einen starken politischen Willen und eine Ausweitung der Rüstungsproduktion voraussetzt. Auch die finanzielle Unterstützung der Ukraine im Falle eines US-Rückzugs wurde thematisiert.
Der Tagesspiegel berichtete am 25.11.2024 über einen offenen Brief von Politikern und Sicherheitsexperten, die ein neues Sicherheitsbündnis zwischen Europa und Kanada fordern, um die Sicherheit der Ukraine unabhängig von der US-Politik unter Trump zu gewährleisten.
Das IPG-Journal argumentierte am 14.11.2024, dass Deutschland einen Plan für die zukünftige Sicherheitspolitik und deren Finanzierung benötigt. Die Autorin Sarah Brockmeier-Large betonte die Notwendigkeit einer Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO und einer deutlichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben.
The Pioneer betonte am 24.11.2024 die Notwendigkeit für die EU-Staaten, ihre Verteidigungsfähigkeit und militärische Ausstattung zu verbessern und sich von der Abhängigkeit von den USA zu lösen.
Das ZDF analysierte am 31.07.2024 die möglichen Folgen eines US-Rückzugs aus der NATO und die Herausforderungen für die europäische Verteidigung. Die Schaffung einer europäischen Armee wurde als mögliche Lösung diskutiert, jedoch bleiben viele Fragen offen.
Der Hardthöhenkurier diskutierte am 22.10.2024 die Bedeutung des amerikanischen Nuklearschirms für die NATO und die Herausforderungen für Deutschland im Falle eines Wegfalls.
Quellen:
* Frankfurter Allgemeine Zeitung: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/verteidigung-der-eu-europaeische-sicherheit-ohne-amerika-110158771.html
* IPG-Journal: https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/abschied-des-hegemons-7913/
* tagesschau: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/sicherheitspolitik-europa-nato-100.html
* Der Tagesspiegel: https://www.tagesspiegel.de/internationales/ohne-die-usa-von-donald-trump-neues-sicherheitsbundnis-zwischen-europa-und-kanada-12754658.html
* IPG-Journal: https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/klarer-blick-vonnoeten-7920/
* The Pioneer: https://www.thepioneer.de/originals/others/articles/militaer-eu-ohne-usa
* ZDF: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/nato-trump-austritt-drohung-sicherheit-europa-check-100.html
* Hardthöhenkurier: https://hardthoehenkurier.de/nato-ohne-usa/