19.10.2024
Frankreich: Neue Kontroversen in der Linken

Frankreich: Zerbricht die Linke schon wieder?

Um Le Pen zu stoppen, hatten sich die linken Parteien zum „Nouveau Front populaire“ verbündet. Doch seit dem knappen Wahlsieg streiten sie darüber, wer Premier werden soll. Besonders Mélenchons extreme Linke stellt sich quer.

Von Oliver Meiler, Paris

Ein guter Name, wie aus dem Hut gezaubert

Laurence Tubiana, 73 Jahre alt, Umweltexpertin. An ihrer Eignung für hohe Ämter in der Republik zweifelt in Frankreich niemand – etwa für jenes der französischen Regierungschefin.

Doch darum geht es nur am Rande, wenn nun die Rede von der Ökonomin ist, die im damals noch französischen Oran in Algerien geboren wurde, mit elf nach Paris kam, später Professorin an der Universität Sciences Po wurde, 2015 für Frankreich die Verhandlungen an der Klimakonferenz der Vereinten Nationen leitete und dabei zur „Architektin des Pariser Abkommens“ wurde, wie man sie in Frankreich nennt.

Drei von vier Parteien des linken Bündnisses „Nouveau Front populaire“, knapper Sieger der vorgezogenen Parlamentswahlen, schlagen Tubiana vor als mögliche Regierungschefin. Nur die radikal linke Partei La France insoumise schert aus. Denn Tubiana hat einen Makel: Auch Emmanuel Macron mag sie. Seit er Präsident ist, seit 2017 also, hat er sie schon oft angefragt, ob sie Ministerin werden wolle, einmal dachte er sogar an sie, als er einen neuen Premier brauchte. Und weil sie Macron gefällt, missfällt sie der France insoumise. Reflexhaft.

Sowohl Mélenchons Insoumis als auch die Parti socialiste wollen über das linke Lager herrschen

Die Debatte um die Personalie hat nun das Zeug, die Linke zu sprengen. Seit einer Woche zerreißt sie sich über die Frage, welchen Namen sie dem Präsidenten unterbreiten soll. Wie es zu erwarten gewesen war, streiten sich vor allem die Insoumis von Jean-Luc Mélenchon und der sozialdemokratische Parti socialiste. Beide streben die Herrschaft über das ganze Lager an und haben je etwa gleich viele Abgeordnete im neuen Parlament. Die Kommunisten und die Grünen stehen dazwischen, vermitteln – und verzweifeln.

Detailansicht öffnen Drei der vier Parteien des „Nouveau Front populaire“ wünschen sich Laurence Tubiana als Premierministerin. Doch Jean-Luc Mélenchon hat mit ihr ein Problem. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

Am vergangenen Wochenende hatten die Mélenchonisten Huguette Bello vorgeschlagen, die Vorsitzende des Regionalrats von La Réunion, einem Überseedepartement im Indischen Ozean. Die Sozialisten aber fanden, Bello stehe Mélenchon viel zu nahe, Macron würde sich deshalb nie auf den Vorschlag einlassen.

Die totale Abneigung von Mélenchon und Macron beruht auf Gegenseitigkeit: Eine Regierung unter dem Diktat des linken Polarisierers würde der Präsident nicht zulassen. Und selbst wenn ein Kabinett mit der France insoumise zustande käme, würde sie wohl nur einige Tage überleben: In der Assemblée nationale gäbe es genügend Kräfte, die sich hinter einem Misstrauensantrag versammeln würden, um eine solche Regierung bei der ersten Abstimmung wieder zu stürzen.

Macrons Lager schwankt zwischen einer Allianz mit der Linken oder den Konservativen

Das wissen alle, auch die Mélenchonisten selbst. Und so stellt sich die Frage, ob sie überhaupt an einer linken Regierung interessiert sind oder lieber in der Opposition bleiben, jetzt, da sich eine größere Koalition abzeichnet. Zumindest in einem Teil der sozialistischen Partei ist mittlerweile die Überzeugung gereift, dass die Linke mit ihren rund 190 bis 200 Sitzen im Parlament ohnehin nicht allein regiere

Weitere
Artikel