26.10.2024
Georgien am Scheideweg: Zwischen Westorientierung und Russlands Schatten

Georgiens Balanceakt: Zwischen Friedenswillen und dem Schatten des Krieges

Ein gespaltenes Land, ein schwelender Konflikt und die Angst vor dem Flächenbrand – Georgien steht am Scheideweg. Während die Regierungspartei Georgischer Traum mit dem Schreckgespenst eines Krieges unter Beteiligung Russlands hantiert, sehnt sich die Bevölkerung nach Frieden und Stabilität. Die Parlamentswahl, die am Wochenende stattfindet, wird daher von vielen als „Schicksalswahl“ betitelt. Doch worum geht es in diesem Konflikt wirklich? Und welche Rolle spielen der Westen und Russland in den Köpfen der Georgier?

Tief sitzt die Angst vor einer Eskalation des Konflikts mit Russland, die Erinnerung an den Krieg 2008 ist noch präsent. Die Regierungspartei, angeführt vom einflussreichen Oligarchen Bidsina Iwanischwili, nutzt diese Furcht, um ihre Macht zu sichern. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) berichtet, setzt der Georgische Traum auf eine aggressive Wahlkampfstrategie, die die Opposition mit dem Risiko eines Krieges gleichsetzt. Ein provokantes Wahlplakat, das zerstörte ukrainische Städte zeigt, soll den Wählern suggerieren, dass ein ähnliches Schicksal auch Georgien drohe, sollte die Opposition an die Macht kommen.

Die Opposition, angeführt von der Vereinigten Nationalbewegung des inhaftierten ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili, wirft der Regierung hingegen vor, das Land in Richtung Autokratie und Abhängigkeit von Moskau zu führen. Sie betont die Bedeutung einer Westorientierung und wirft der Regierung vor, mit Russland zu paktieren. Die Rhetorik beider Seiten ist aufgeheizt, die politische Landschaft tief gespalten.

Doch wie nehmen die Menschen in Georgien diesen Konflikt wahr? Ein Besuch in Dschordschiaschwili, einem kleinen Dorf in Zentralgeorgien, zeigt, dass die Sehnsucht nach Frieden und Stabilität groß ist. „Rund um Georgien herrscht Krieg“, sagt Micheil Dalakischwili, stellvertretender Ortsvorsteher, im Gespräch mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ). Nur in Georgien sei es friedlich geblieben. Die Angst vor einem neuen Krieg ist real, die Menschen spüren die Bedrohung durch Russland, das nur wenige Kilometer von der Hauptstadt Tiflis entfernt Truppen stationiert hat.

Dennoch ist die Situation komplexer, als es die Rhetorik der Regierungspartei vermuten lässt. Die Mehrheit der Georgier wünscht sich zwar eine Westbindung und eine Zukunft in der Europäischen Union, doch gleichzeitig ist man sich der wirtschaftlichen und geopolitischen Abhängigkeit von Russland bewusst. Ein radikaler Bruch mit Moskau, wie ihn die Opposition fordert, wird von vielen als unrealistisch und gefährlich angesehen.

Die Angst vor dem Krieg ist in Georgien allgegenwärtig, doch sie ist nicht das einzige Thema, das die Menschen bewegt. Die wirtschaftliche Situation, die hohe Inflation und die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen sind drängende Probleme, die von der Regierungspartei nicht ausreichend adressiert werden. Die Opposition versucht, diese Themen in den Vordergrund zu rücken und der Bevölkerung eine Alternative zur Politik des Georgischen Traums aufzuzeigen.

Die Parlamentswahl in Georgien ist eine Richtungswahl. Es geht um die Frage, ob das Land seinen pro-westlichen Kurs fortsetzt oder ob es in die Einflusssphäre Russlands zurückfällt. Die Angst vor dem Krieg ist ein wichtiger Faktor in diesem Wahlkampf, doch sie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch um die Zukunft der georgischen Demokratie und den Wunsch der Menschen nach Frieden, Freiheit und Wohlstand geht.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/georgiens-fuehrung-spielt-mit-der-angst-vor-dem-krieg-110070087.html
  • https://www.nzz.ch/international/wahl-in-georgien-iwanischwilis-partei-schuert-die-angst-vor-krieg-ld.1854239
  • https://www.handelsblatt.com/politik/international/parlamentswahl-angst-vor-eskalation-bei-parlamentswahl-in-georgien/100075061.html
  • https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/georgien-parlamentswahl-interview-zaal-andronikashvili-100.html
  • https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-spotlight/propaganda-und-angst-wie-die-georgische-regierungspartei-georgischer-traum-ihre-waehlerinnen-mobilisiert
  • https://www.tagesspiegel.de/protest-in-georgien-mit-der-angst-gespielt-und-verloren-9472823.html
  • https://www.nzz.ch/pro/schicksalswahl-in-georgien-waehlt-das-land-den-westen-oder-putin-ld.1850299
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