19.10.2024
Die gesellschaftliche Spaltung im Fokus der Wahlereignisse in Thüringen und Sachsen

Aufstieg der Rechtspopulisten: Wahl-Beben im Osten: Wie gespalten ist die Gesellschaft?

Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen wird die gesellschaftliche Polarisierung in Deutschland intensiver diskutiert. Die Wahlresultate haben nicht nur die politische Landschaft verändert, sondern auch die Frage aufgeworfen, wie tief die Gräben innerhalb der Gesellschaft tatsächlich sind. Die Ereignisse wurden von verschiedenen Medien als historische Zäsur bezeichnet, insbesondere die Tatsache, dass die Alternative für Deutschland (AfD) in Thüringen als stärkste Kraft hervorgegangen ist.

Die britische BBC berichtete von einem „radikalen rechten Wahlsieg“ und stellte fest, dass dies der erste Erfolg einer als rechtsextrem eingestuften Partei seit dem Zweiten Weltkrieg in einem deutschen Bundesland ist. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, inwieweit die Wähler der AfD tatsächlich aus Protest handeln oder ob sie die Positionen der Partei aktiv unterstützen.

Die Wähler der AfD: Protest oder Überzeugung?

Der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky, Autor des Buches „Was Populisten wollen“, argumentiert, dass die AfD und das neu gegründete Bündnis um Sahra Wagenknecht keine reinen Protestparteien sind. Er weist darauf hin, dass die Behauptung, die Wähler würden aus einer Reaktion auf die Ampel-Koalition wählen, eine zu vereinfachte Analyse darstellt. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Österreich und den Niederlanden zu beobachten.

Lewandowsky betont, dass viele AfD-Wähler mit den politischen Positionen der Partei, insbesondere in Bezug auf Migration und Gesellschaftspolitik, übereinstimmen. Die AfD vermittelt zudem ein „demokratiepolitisches Versprechen“, indem sie behauptet, die Demokratie zurückzubringen, die angeblich von den politischen Eliten genommen wurde. Dies führt dazu, dass sich die Wähler nicht als Verfassungsfeinde sehen, sondern sich selbst als wahre Demokraten betrachten.

Die Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele von der Hertie School in Berlin unterstützt diese Sichtweise. Sie stellt fest, dass Migration und Sicherheit die zentralen Anliegen der AfD-Wähler sind und dass sie in diesen Bereichen die größte Kompetenz bei der AfD sehen.

Misstrauen gegenüber politischen Eliten

Ein signifikanter Teil der Wähler zeigt ein tiefes Misstrauen gegenüber den politischen Eliten sowie gegenüber Experten, Journalisten und akademisch gebildeten Städtern. Diese Gruppen werden oft als Feinde wahrgenommen, was sich insbesondere während der Corona-Pandemie verstärkt hat. Die Pandemie hat nicht nur das Vertrauen in die Institutionen erschüttert, sondern auch eine polarisierende Sichtweise gefördert, die sich in den Wahlergebnissen widerspiegelt.

Junge Wähler und die Normalisierung der AfD

Besonders auffällig ist, dass die AfD bei jungen Wählern in Sachsen und Thüringen die höchste Zustimmung erhält. Der Generationenforscher Rüdiger Maas interpretiert dies als Zeichen einer Normalisierung der Partei. Viele junge Menschen, die sich politisch als mittig einstufen, wählen dennoch die AfD. Dies zeigt, dass die Wahrnehmung der Partei als rechtsextrem nicht mehr so stark ausgeprägt ist wie zuvor.

Römmele hebt hervor, dass die Situation in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland volatiler ist. Es gibt weniger Menschen mit fester Parteibindung, was zu einer höheren Offenheit für Fluktuation führt. Bei der Bundestagswahl 2021 schnitt die SPD in diesen Bundesländern noch relativ gut ab, was die Dynamik der Wählerschaft unterstreicht.

Stadt-Land-Gefälle

Ein weiterer Aspekt, der die Wahlergebnisse beeinflusst hat, ist der Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. In Städten wie Erfurt, Jena, Leipzig und Dresden spiegeln die Wahlergebnisse eher die in Westdeutschland wider, während in kleineren Städten und ländlichen Regionen eine deutliche Unterstützung für die AfD zu beobachten ist. Soziologe Steffen Mau beschreibt diesen Unterschied als eine Kluft, die die gesellschaftlichen Ansichten und Bedürfnisse widerspiegelt.

Politische Kultur und gesellschaftliche Spaltung

Mau spricht von einer „Entzivilisierung“ der politischen Kultur, die durch den Aufstieg der AfD begünstigt wird. Die politischen Akteure, die sich gegen die AfD zusammenschließen, müssen oft ihre eigenen Programmatiken anpassen, was zu internen Konflikten führen kann. Dies könnte die gesellschaftliche Spaltung weiter vertiefen, da die Abwehrmaßnahmen gegen die AfD möglicherweise deren Unterstützung sogar erhöhen.

Die gesellschaftliche Spaltung wird nicht nur als gegeben betrachtet, sondern als durch politische Akteure erzeugt. Mau beschreibt das „Triggern“ von Emotionen durch gezielte politische Rhetorik als eine Methode, die zur Polarisierung beiträgt. Themen wie Gendersprache oder Asylpolitik werden genutzt, um bestimmte Gruppen gegeneinander auszuspielen und damit Wählerstimmen zu mobilisieren.

Wege zur Überwindung der Spaltung

Um die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, schlagen Experten wie Steffen Mau die Einführung von Bürgerräten vor. Diese Gremien könnten als Plattform dienen, um die Bürger in den politischen Prozess einzubeziehen und das Gefühl der Abgehobenheit von den politischen Eliten zu verringern. Bürgerräte könnten sich mit konkreten Themen befassen und so einen Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen fördern.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wahlen in Thüringen und Sachsen nicht nur die politische Landschaft verändert haben, sondern auch tiefere Fragen zur gesellschaftlichen Spaltung aufwerfen. Die Ergebnisse zeigen, dass die AfD nicht nur eine Protestbewegung ist, sondern dass ihre Wähler aktiv mit den Positionen der Partei übereinstimmen. Die Herausforderungen, die sich aus dieser Entwicklung ergeben, erfordern eine differenzierte Analyse und neue Ansätze zur Förderung des gesellschaftlichen Dialogs.

Quellen: Zeit Online, Süddeutsche Zeitung, MT.de

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