Hanife Tosun, eine Kölnerin Mitte 40 mit türkischen Wurzeln, die bei einer Behörde arbeitet, trauert um Fethullah Gülen. Wie die F.A.Z. berichtet, fühlt sich Tosun, seinen Lehren schon ihr Leben lang verbunden. Sie engagiert sich in der Stiftung Dialog und Bildung, die als zentrale Institution der Gülen-Bewegung in Deutschland gilt. Gülen habe sie bei mehreren persönlichen Treffen als authentisch und inspirierend empfunden. Sein Tod treffe sie sehr. „Aber wie Fethullah Gülen selbst betonte, sind Personen vergänglich. Entscheidend sind die Werte und Ideale, die überdauern.“

Die Gülen-Bewegung, die sich selbst als Hizmet-Bewegung (Dienst am Nächsten) bezeichnet, ist in über 160 Ländern aktiv und betreibt dort nach eigenen Angaben mehr als 1.500 Schulen. Zudem organisiert sie Nachhilfekurse, unterhält „Dialoginstitute“, gibt Zeitungen und Zeitschriften heraus, besitzt Fernsehsender und ist über global agierende Unternehmervereinigungen miteinander vernetzt. Entstanden ist die Bewegung in der Türkei. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts breitete sie sich auf dem Balkan und in Zentralasien aus. Seit Anfang der 2000er-Jahre ist sie auch in den USA und Afrika aktiv. In Deutschland sind über 300 regionale Bildungsvereine aktiv, die Schulen, meist Gymnasien, betreiben und nach eigenen Angaben den „interkulturellen Dialog“ pflegen.

Seit dem Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016, für den die türkische Regierung Fethullah Gülen verantwortlich macht, sehen sich dessen Anhänger auch in Deutschland verstärkt Anfeindungen ausgesetzt. So berichtete die Süddeutsche Zeitung im Juli 2016 von Stein- und Flaschenwürfen auf Demonstrationen von Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, von verbalen Attacken gegen Gülen-Anhänger in sozialen Netzwerken sowie von der Belagerung und Beschädigung eines Jugendcafés im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen durch Erdoğan-Anhänger.

Der Konflikt zwischen der Gülen-Bewegung und der türkischen Regierung hat dazu geführt, dass die Bewegung in Deutschland stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Integrations- und Bildungspolitiker loben das schulische Engagement von Gülens Anhängern, deren Einrichtungen den Kindern von Migranten den Weg zur Universität oft besser ebnen als die deutschen Schulen. Auch die Kirchen stehen den Initiativen der Bewegung zum „interkulturellen Dialog“ zumeist positiv gegenüber. Gleichzeitig fordern sie von der Gülen-Gemeinde jedoch, ihr eher traditionelles Koranverständnis weiterzuentwickeln. Säkular, links und alevitisch geprägte Vereine türkischer Migranten in Deutschland sehen die Anhänger von Fethullah Gülen dagegen kritisch. Sie sprechen von einem „islamistisch-nationalistischen Wolf im demokratischen Schafspelz“.

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben die Gülen-Bewegung in der Vergangenheit nicht als extremistische Bestrebung eingestuft. Daher wird sie auch nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Allerdings wurde im Jahr 2014 auf der Innenministerkonferenz diskutiert, ob der Verfassungsschutz die Gruppe beobachten solle. Damals konnte man jedoch keine antidemokratischen Bestrebungen erkennen und entschied sich dagegen.

Nach dem Tod von Fethullah Gülen im Oktober 2024 stellt sich die Frage, wie es mit der Bewegung in Deutschland weitergeht. Der Vorsitzende der Stiftung Dialog und Bildung, Ercan Karakoyun, sagte dem WDR, dass die Gülen-Bewegung ihr weitreichendes Netzwerk auch nach dem Tod von Gülen aufrechterhalten werde. Die Bewegung habe ihr Wirken so gestaltet, dass Entscheidungen nie auf Gülen zentriert, sondern in Gremien gefällt wurden. In Deutschland habe die Bewegung in sechs Bundesländern, darunter NRW, Landesverbände. Die Gülen-Bewegung werde sich weiter um Bildung und Dialog bemühen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gülen-Bewegung in Deutschland nach dem Tod ihres Gründers entwickeln wird. Der Konflikt mit der türkischen Regierung und die damit einhergehenden Anfeindungen werden die Bewegung aber weiterhin begleiten.

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