19.10.2024
Herausforderungen der Geschlechterparität in der neuen EU-Kommission

Neue EU-Kommission: Von der Leyen bangt um ihre Autorität

In Brüssel wird derzeit genau beobachtet, wie viel Spielraum die Mitgliedstaaten der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bei der Bildung ihrer neuen Kommission lassen. Insider berichten, dass von der Leyen geschwächt in ihre zweite Amtszeit geht. Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Entwicklungen bei den Nominierungen für die Kommissarsposten untermauert, die auf eine besorgniserregende Tendenz hinweisen.

Ein Blick auf die Bildergalerie im Erdgeschoss des Berlaymont-Gebäudes, dem Sitz der EU-Kommission, zeigt die Veränderungen, die die Institution im Laufe der Jahre durchlaufen hat. Früher waren die Familienfotos von Männern dominiert, und selbst als die Gemeinschaft in den 1970er und 1980er Jahren wuchs, blieb die Geschlechterverteilung unausgewogen. Diese historische Perspektive verstärkt die Bedeutung der aktuellen Bemühungen von von der Leyen, ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern in der Kommission zu erreichen.

Im Vorfeld der Nominierungen hatte von der Leyen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten aufgefordert, sowohl Männer als auch Frauen für die Kommissarsposten vorzuschlagen. Diese Bitte stieß jedoch auf taube Ohren: Mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten nominierte ausschließlich männliche Kandidaten. Dies könnte dazu führen, dass das neue Kollegium zu etwa zwei Dritteln aus Männern besteht, was die Bemühungen von von der Leyen um Gleichstellung untergraben würde.

Die Situation wird durch die rechtlichen Rahmenbedingungen verstärkt, die den Mitgliedstaaten keine Verpflichtung auferlegen, der Aufforderung zur Geschlechterparität nachzukommen. Der EU-Vertrag verlangt lediglich, dass die Kommission das demografische und geografische Spektrum der Mitgliedstaaten widerspiegelt, ohne spezifische Vorgaben zur Geschlechterverteilung zu machen. Dies gibt den Regierungen einen gewissen Spielraum, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen, ohne Rücksicht auf die von von der Leyen angestrebte Gleichstellung.

Ein Beispiel für diese Ignoranz ist die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, die verteidigte, dass Dänemark mit der Nominierung eines männlichen Kommissars keine Frau benennen müsse, da das Land zuvor von einer Frau vertreten wurde. Ähnliche Argumentationen wurden auch von anderen Mitgliedstaaten vorgebracht, die sich weigerten, die Bitte von von der Leyen zu berücksichtigen.

Die Nominierungen stehen in einem kritischen Kontext, da die neue Kommission am 1. November ihre Arbeit aufnehmen soll, kurz vor den Präsidentschaftswahlen in den USA. Ein verzögerter Prozess könnte nicht nur die Autorität von von der Leyen untergraben, sondern auch die gesamte EU in eine schwierige Lage bringen, da sie in einer geopolitisch sensiblen Zeit agieren muss.

Der italienische Rechtsexperte Alberto Alemanno warnte, dass ein männlich dominiertes Kollegium die Autorität der Präsidentin erheblich schwächen könnte. Sollte das Europäische Parlament schwache männliche Kandidaten ablehnen, könnte dies zu einer weiteren Verzögerung der Ernennung führen, was die gesamte Kommission in eine prekäre Lage bringen würde.

Die Herausforderungen, vor denen von der Leyen steht, sind nicht nur politischer Natur, sondern auch symbolischer. Ein Mangel an Geschlechterparität könnte das Bild der EU-Kommission in der Öffentlichkeit und innerhalb der Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Die Kommission hat sich in der Vergangenheit für Gleichstellung und Diversität eingesetzt, und ein Scheitern in dieser Hinsicht könnte als Rückschritt wahrgenommen werden.

Die nächsten Schritte in diesem Prozess sind entscheidend. Von der Leyen muss die Nominierungen der Mitgliedstaaten entgegennehmen und eine Aufgabenverteilung vornehmen. Dabei könnte sie theoretisch Druck auf die Mitgliedstaaten ausüben, um sicherzustellen, dass auch Frauen in bedeutende Positionen berufen werden. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sie in der Lage sein wird, diese Strategie erfolgreich umzusetzen.

Insgesamt zeigt die aktuelle Situation, wie komplex und herausfordernd die politische Landschaft der EU ist. Von der Leyens Bemühungen um Geschlechterparität stehen im Widerspruch zu den realen politischen Dynamiken, die in den Mitgliedstaaten herrschen. Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, um zu sehen, ob es der Präsidentin gelingt, ihre Vision für eine ausgewogene Kommission zu verwirklichen oder ob sie in ihrer Autorität geschwächt wird.

Die Entwicklungen in Brüssel werden weiterhin genau beobachtet, da sie nicht nur die Zukunft der Kommission, sondern auch die der gesamten Europäischen Union beeinflussen könnten.

Quellen: - Frankfurter Allgemeine Zeitung, - dpa, - Eulerpool News

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