19.10.2024
Abschied von der Limbach-Kommission: Zwischen Hoffnung und Skepsis

Die Limbach-Kommission: Ein Ende ohne neuen Anfang

Die Limbach-Kommission, einst ein bedeutendes Instrument zur Klärung von Streitfällen um NS-Raubkunst, steht vor dem Ende. Bei einem Treffen im Kanzleramt wurde ihr Aus offiziell verkündet. Geplant ist, sie durch Schiedsgerichte zu ersetzen, doch bisher existiert noch kein tragfähiges Konzept für dieses Vorhaben.

Die Atmosphäre im kleinen Kabinettssaal des Kanzleramts war angespannt, obwohl der Blick ins Grüne neben dem Bundeskanzleramt eigentlich beruhigend wirken könnte. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte für den Mittwochnachmittag der letzten Maiwoche die Mitglieder der „Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz“ eingeladen. Eine Tagesordnung gab es nicht.

„Verrat am Geist der Washingtoner Prinzipien“

Es war klar, dass es um den im März verkündeten Beschluss von Bund, Ländern und Kommunen gehen würde, anstelle der Kommission Schiedsgerichte einzusetzen – zumal Vertreter der Länder Rheinland-Pfalz und Sachsen mit am Tisch saßen. Schon nach wenigen Worten wussten die fünf anwesenden Kommissionsmitglieder, warum sie eingeladen worden waren: um von ihrer eigenen Abwicklung zu erfahren. Die Entscheidungen von März würden jetzt verbindlich, sagte Roth in ihrer Begrüßung. Bund und Länder arbeiteten bereits in Arbeitsgruppen an der Umsetzung. Die Beratende Kommission solle den Prozess begleiten.

Entsprechend heftig fielen die Reaktionen der Kommissionsmitglieder aus, unter ihnen der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, die ehemalige Bundesverwaltungsgerichtspräsidentin Marion Eckertz-Höfer und der Präsident des Deutschen Historischen Museums, Raphael Gross. Der amerikanische Philosoph Gary Smith, ebenfalls Mitglied des ehrenamtlich tätigen Gremiums, sprach im Kanzleramt laut einem internen Protokoll von „Verrat am grundlegenden Geist der Washingtoner Prinzipien und ihrer Verfeinerung in den letzten 25 Jahren“.

Hoffnung auf eine „rechtssichere Verfahrensordnung“

Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) teilte schon am Tag nach dem Bund-Länder-Beschluss mit: „Für mich ist klar, dass wir Picassos ‚Madame Soler‘ vorlegen, sobald es das Schiedsgericht gibt.“ Blume sprach von einer „künftig rechtssicheren Verfahrensordnung und einem ausdifferenzierten Bewertungsrahmen“ – und kritisierte damit die Kommission.

Die nach ihrer ersten Vorsitzenden immer noch sogenannte „Limbach-Kommission“ ist mit dem Treffen im Kanzleramt endgültig Geschichte. Die beschlossene Umwandlung in Schiedsgerichte kommt schneller als vermutet; aus einer moralischen Instanz wird eine juristische. Schon bei ihrem nächsten Treffen am 9. Oktober sollen die Kulturminister der Länder das neue Verfahren im Umgang mit strittigen NS-Raubkunst-Fällen beschließen – als Verwaltungsabkommen, ohne parlamentarische Beteiligung. Die in der Koalitionsvereinbarung angekündigte „Stärkung der Beratenden Kommission“ ist damit hinfällig – ohne dass es bislang ein neues abgestimmtes Konzept gibt.

Vertreter der Erbenseite haben Bedenken

Das soll nun in gut zwölf Wochen erarbeitet werden. Vertreter der Erbenseite haben Bedenken, dass NS-Opfer künftig schwieriger Gehör und Recht finden könnten. Dass viele zentrale Fragen noch offen sind, bestätigt auch ein beteiligter Landesminister: „Ist eine sofortige einseitige Anrufung möglich, oder müssen vorher andere Schlichtungsversuche unternommen werden? Wer trägt die Kosten, falls Anwälte engagiert oder Gutachten beauftragt werden müssen? Müssen also gegebenenfalls jüdische NS-Opfer dafür bezahlen, zu ihrem Recht zu kommen? Sind die Schiedsrichter von den Streitparteien frei wählbar? Wie wird Staatsferne gewährleistet, wenn fast alle betroffenen Museen in staatlicher Trägerschaft sind? Wird die jüdische Gemeinschaft in die Schiedsgerichtsbarkeit mit einbezogen werden? Und sind, wie jetzt bei der Kommission, auch künftig noch Entscheidungen möglich, wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gibt – kann ein Gericht dann ein Urteil sprechen? Über all das müssen wir noch nachdenken.“

Drei Jahre Bearbeitungszeit wären zynisch

Ungeklärt ist auch, ob das neue Verfahren zu längeren Fristen führt, wenn Bund und Länder dafür nicht mehr Geld und Personal bereitstellen. Drei Jahre für einen Fall schwebte den Ländern in der zuständigen Arbeitsgruppe einmal vor. Angesichts des hohen Alters vieler Anspruchsteller wäre das zynisch.

Es gehe darum, „die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien in Deutschland im Sinne der Verfolgten und ihrer Nachkommen zu verbessern“, teilt dagegen die Behörde der Kulturstaatsministerin (BKM) auf Anfrage mit. Man stimme auch in verschiedenen Punkten nicht mit dem Bonner Jura-Professor Matthias Weller überein, der in einer Studie für das BKM eine mögliche neue Verfahrensweise skizziert und dabei eine „strikte und uneingeschränkte Neutralitätserwartung“ gegenüber allen Verfahrensbeteiligten formuliert hatte. Das BKM vertrete „anders als die Studie dezidiert die Ansicht, dass Vertreter des jüdischen Lebens in jedem Gremium vertreten sein müssen, das in Umsetzung der Washingtoner Prinzipien tätig ist“.

Grosz, Beckmann, Rubens und van Goyen

Acht Fälle liegen zurzeit noch bei der Beratenden Kommission. Fünf davon wurden noch kurz nach dem Bund-Länder-Beschluss vom März eingereicht. Es geht unter anderem um Werke von Grosz und Beckmann, Rubens und van Goyen. Ob die Schicksale ihrer ehemaligen Besitzer jetzt überhaupt noch recherchiert und Empfehlungen ausgesprochen werden können, ist in der Kommission nach dem Gespräch im Kanzleramt umstritten.

Unbeantwortet bleibt letztlich auch die Frage, warum man bei der anstehenden Reform nicht gleich das gesamte System grundsätzlich durchdacht und sie für den großen Wurf genutzt hat. Indem man zum Beispiel feststellt, dass das eigentliche Thema nicht Kunst heißt, für das die föderale Zuständigkeit bei den Ländern liegt, sondern Wiedergutmachung und Entschädigung, für die – wie beim Bundesentschädigungsgesetz – der Bund selbst Verfahren beschließen könnte, ohne Rücksichten auf regionale Befindlichkeiten nehmen zu müssen.

Stichwort Limbach-Kommission

Die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, ist auch als Limbach-Kommission bekannt. Sie wurde 2003 eingerichtet, um Konflikte um die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunstwerke zu klären, die sich heute vor allem in öffentlichen Museen befinden. Die Kommission kann bei Streitfällen angerufen werden und soll schließlich eine Empfehlung aussprechen. Am Ende des Verfahrens soll eine „gerechte und faire Lösung“ stehen. Die erste Kommissionsvorsitzende war die 2016 verstorbene frühere Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach, die dem Gremium ihren Namen gab. An der Arbeit der Kommission gab es in der Vergangenheit viel Kritik, was auch an fehlenden Befugnissen lag: Die Kommission konnte nur tätig werden, wenn auch das betroffene Museum bzw. der Träger – Bund, Länder oder Kommunen – zustimmte. Jüdische Familien mussten deshalb zum Teil jahrelang darum bitten, dass ihr Verfolgungsschicksal anerkannt und über die ihnen gestohlenen Bilder gesprochen wurde. Manche NS-Verfolgte starben, bevor es zu einer Rückgabe kam.

Mit dem Ende der Limbach-Kommission ist ein wichtiges Kapitel in der Aufarbeitung von NS-Raubkunst abgeschlossen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob und wie die Schiedsgerichte als Nachfolger der Kommission etabliert werden können und ob sie den Erwartungen und Anforderungen, die an sie gestellt werden, gerecht werden können.

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