27.10.2024
Netanjahus Bewährungsprobe im Gazastreifenkonflikt

Der Moment der Wahrheit für Netanjahu

Ein Jahr nach dem verheerenden Hamas-Angriff auf Israel steht Premierminister Benjamin Netanjahu vor einer entscheidenden Weichenstellung. Die militärische Operation im Gazastreifen hat die Hamas zwar stark geschwächt, doch die entscheidende Frage nach der Zukunft des Gazastreifens und der Geiseln bleibt ungeklärt. Der Druck auf Netanjahu wächst, sowohl von Seiten der internationalen Gemeinschaft als auch aus den eigenen Reihen.

Druck von allen Seiten

Die Forderung nach einem konkreten Plan für die Zeit nach dem Krieg wird immer lauter. Verteidigungsminister Yoav Gallant und Kriegskabinettsminister Benny Gantz, beide Mitglieder von Netanjahus Regierung, kritisieren öffentlich die ihrer Meinung nach fehlende Strategie im Umgang mit dem Gazastreifen. Gantz stellte Netanyahu ein Ultimatum bis zum 8. Juni, um einen Plan für die Nachkriegsordnung vorzulegen. Andernfalls droht er mit seinem Rücktritt aus dem Kriegskabinett. „Der Moment der Wahrheit ist gekommen“, so Gantz laut tagesschau.de. Netanyahu müsse sich entscheiden „zwischen Zionismus und Zynismus, zwischen Einheit und Spaltung, zwischen Verantwortung und Gesetzlosigkeit, zwischen Krieg und Katastrophe“.

Doch nicht nur aus den eigenen Reihen, auch aus der Bevölkerung wächst der Druck. Zehntausende Israelis demonstrierten in Tel Aviv für die Freilassung der Geiseln, die sich noch immer in der Gewalt der Hamas befinden. Die israelische Armee barg zuletzt vier weitere tote Geiseln, darunter die Deutsch-Israelin Shani Louk. Die andauernde Ungewissheit über das Schicksal der Geiseln und die Angst vor neuen Gewaltausbrüchen belasten die israelische Gesellschaft.

Streit um den richtigen Weg

Während die einen einen raschen Waffenstillstand und Verhandlungen mit der Hamas fordern, sprechen sich die anderen für eine Fortsetzung der Militäroperation und eine harte Haltung gegenüber der Terrororganisation aus. Innerhalb der israelischen Regierung hat sich ein tiefer Graben zwischen denjenigen aufgetan, die eine diplomatische Lösung anstreben, und jenen, die auf eine militärische Lösung setzen.

Besonders die rechten Minister in Netanjahus Koalition, allen voran der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, lehnen jegliche Verhandlungen mit der Hamas kategorisch ab. Sie fordern stattdessen eine Ausweitung der Militäroperation und eine dauerhafte militärische Besetzung des Gazastreifens. Ben Gvir und andere rechte Politiker werfen Netanyahu vor, zu nachgiebig gegenüber der Hamas zu sein und Israels Sicherheit zu gefährden.

Die Geiselfrage als Zünglein an der Waage

Die Verhandlungen über einen Geiseldeal gestalten sich schwierig. Die Hamas fordert im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln die Freilassung von palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen sowie eine Lockerung der Blockade des Gazastreifens. Israel hingegen besteht darauf, dass die Geiseln freigelassen werden, ohne dass die Hamas dafür eine Gegenleistung erhält. Einigkeit besteht lediglich darüber, dass die Geiseln nicht mehr lange als Verhandlungsmasse genutzt werden können, wie die F.A.Z. berichtet.

Die Geiselfrage stellt für Netanyahu ein Dilemma dar. Ein Deal mit der Hamas, der die Freilassung der Geiseln zum Ziel hat, würde ihm zwar die Zustimmung eines Großteils der israelischen Bevölkerung sichern, gleichzeitig aber seinen Ruf als Hardliner gegenüber der Hamas beschädigen. Eine kompromisslose Haltung gegenüber der Hamas hingegen würde zwar seine Position innerhalb der eigenen Partei stärken, gleichzeitig aber das Risiko bergen, dass die Geiseln dauerhaft in Gefangenschaft bleiben.

Netanjahu zwischen den Fronten

Benjamin Netanyahu steht vor einer Zerreißprobe. Um die aktuelle Krise zu bewältigen, muss er einen Weg finden, die unterschiedlichen Interessen der internationalen Gemeinschaft, der israelischen Bevölkerung und seiner eigenen Koalition unter einen Hut zu bringen. Gelingt es ihm nicht, einen Kompromiss zu finden, droht eine weitere Eskalation der Gewalt im Gazastreifen und eine tiefe Spaltung der israelischen Gesellschaft.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/politik/krieg-in-nahost/gaza-krieg-beim-geisel-deal-muss-netanjahu-farbe-bekennen-110073261.html
  • https://www.tagesschau.de/ausland/europa/israel-druck-netanyahu-100.html
  • https://www.juedische-allgemeine.de/israel/netanjahu-sagt-nein-zu-hamas-vorschlag/
  • https://open.spotify.com/episode/5LoRsnovBfHKgBUeZjJOv1
  • https://www.rnd.de/politik/israels-problem-die-wahrheit-ist-zu-kompliziert-JVVJ2T7NFFEF3JZAVDKWVFXZ2I.html
  • https://www.spiegel.de/thema/benjamin_netanyahu/p76/
  • https://www.nzz.ch/international/netanyahu-ist-zurueck-an-der-macht-trotz-dem-versagen-am-7-oktober-ld.1850176
  • https://www.faz.net/aktuell/politik/krieg-in-nahost/israel-wie-benjamin-netanjahu-den-geiseldeal-torpediert-19842620.html
  • https://www.youtube.com/watch?v=i9-Y3xlPv7w
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