19.10.2024
Neuausrichtung der ukrainischen Regierung in Krisenzeiten

Selenskyj stellt sein Kabinett neu auf

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine umfassende Umstrukturierung seiner Regierung angekündigt, die inmitten einer anhaltenden Krise und angesichts der Herausforderungen, die der Krieg mit Russland mit sich bringt, erfolgt. Am Mittwoch reichte Außenminister Dmytro Kuleba seinen Rücktritt ein, nachdem bereits am Dienstag fünf weitere Kabinettsmitglieder ihren Rückzug erklärt hatten. Zu diesen gehören die Minister für Industrie, Justiz und Umweltschutz sowie die stellvertretenden Ministerpräsidentinnen Irina Wereschtschuk und Olha Stefanischyha.

Zusätzlich wurden der Chef des staatlichen Vermögensfonds und der Vizechef des Präsidialamts entlassen. Berichten aus Kiew zufolge könnten am Mittwoch weitere Rücktritte folgen. Das ukrainische Parlament muss den Rücktrittsgesuchen sowie der Ernennung von Nachfolgern zustimmen, was jedoch als Formalität angesehen wird.

Der Rücktritt Kulebas und die umfassende Kabinettsumbildung waren in Kiew bereits seit einiger Zeit erwartet worden. Oleksandr Mereschko, der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, äußerte sich dazu und betonte die schwierigen Zeiten, die vor der Ukraine liegen. „Ein schwieriger Herbst und Winter stehen bevor. Die Umbildung hängt wohl auch mit den neuen Herausforderungen für unser Land zusammen“, so Mereschko.

Der dritte Kriegswinter wird besonders schwer

Die Ukraine steht vor ihrem dritten Kriegswinter, der mit erheblichen Strom- und Heizungsausfällen einhergehen könnte, da Russland weiterhin Luftangriffe auf die zivile Infrastruktur durchführt. Die Lage an der Front, insbesondere im umkämpften Gebiet Donezk, bleibt angespannt. Zudem verläuft der Vorstoß der Ukraine in das westrussische Gebiet Kursk nur schleppend.

Obwohl Selenskyj bereits vor zwei Monaten von einer Neuaufstellung der Regierung sprach, kam der Rücktritt von Außenminister Kuleba überraschend. Der 43-jährige Chefdiplomat ist seit 2020 im Amt und gilt als das Gesicht der Ukraine im Ausland. Er hat sich unermüdlich für internationale Unterstützung und härtere Sanktionen gegen Russland eingesetzt. Dennoch gab es Berichten zufolge in letzter Zeit immer wieder Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidialamt und dem Außenministerium.

Zusätzlich sorgten Kulebas Äußerungen zur polnisch-ukrainischen Vergangenheit für Spannungen mit Polen. Bei einem Besuch in Warschau hatte er angedeutet, dass die Geschichte den Historikern überlassen werden sollte, was in Polen nicht gut ankam. Polens Außenminister Radoslaw Sikorski betonte, dass trotz der Unterstützung Polens für die Ukraine die schmerzhaften Ereignisse der gemeinsamen Vergangenheit nicht vergessen werden dürften.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock äußerte Bedauern über Kulebas Rücktritt und lobte seine Zusammenarbeit. „Es gibt wenige Menschen, mit denen ich so eng zusammengearbeitet habe wie mit dir“, schrieb sie auf der Plattform X.

Massive Angriffe aus Russland

Diese erste große Regierungsumbildung seit Beginn der russischen Invasion fällt in eine Zeit, in der die Ukraine verheerenden Bombardements der russischen Armee ausgesetzt ist. Ein Luftangriff auf die westukrainische Stadt Lemberg am Mittwoch führte zu mindestens sieben Toten und 47 Verletzten. Dies war bereits der dritte schwere Raketenangriff innerhalb von drei Tagen.

Am Dienstag hatte Russland zwei Raketen auf die zentrale Stadt Poltawa abgefeuert, wobei mindestens 53 Menschen getötet und fast 300 verletzt wurden. Der Angriff traf ein militärisches Ausbildungszentrum sowie ein benachbartes Krankenhaus. Ein Teil der Bildungseinrichtung wurde dabei schwer beschädigt.

In der Nacht zum Mittwoch gelang es der ukrainischen Luftabwehr, sieben Marschflugkörper und 22 Drohnen abzufangen, die auf die Energieinfrastruktur der Ukraine abzielten. In Kiew berichteten Augenzeugen von mehreren Explosionen, die durch die Abwehrmaßnahmen ausgelöst wurden.

Reaktionen auf die Regierungsumbildung

Die Reaktionen auf die Regierungsumbildung sind vielfältig. Experten betrachten den Rücktritt von Kuleba als Teil einer größeren Machtpolitik innerhalb der ukrainischen Regierung. Eduard Klein, ein Ukraine-Experte, weist darauf hin, dass Kuleba durch seine intensive Kriegsdiplomatie und sein internationales Netzwerk an Einfluss gewonnen hat, was möglicherweise zu seinem Rücktritt geführt hat. Das Präsidialamt unter Andrij Jermak könnte versuchen, unabhängige oder einflussreiche Akteure einzuschränken.

Selenskyj hatte bereits im Juli einen Umbau der Regierung angekündigt, um die Effizienz der politischen Führung unter den Bedingungen des Krieges zu steigern. Der Fraktionschef der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“, David Arachamija, kündigte an, dass mehr als die Hälfte der Ministerien neu besetzt werden soll. Die endgültige Liste der neuen Minister wird in Kürze erwartet.

Insgesamt ist die Situation in der Ukraine angespannt, und die Regierung steht vor der Herausforderung, die politischen Strukturen zu stabilisieren und gleichzeitig auf die militärischen und humanitären Krisen zu reagieren, die durch den anhaltenden Konflikt mit Russland verursacht werden.

Die Entwicklungen in der Ukraine werden weiterhin genau beobachtet, da sie nicht nur für das Land selbst, sondern auch für die geopolitische Lage in Europa von großer Bedeutung sind.

Quellen: F.A.Z., Deutschlandfunk, dpa, Kyiv Independent

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