19.10.2024
Ultras und Fußballidentität im Osten Deutschlands: Eine facettenreiche Betrachtung

MDR-Doku über Ultras: Wie steht’s um die ostdeutsche Fußballidentität?

Die MDR-Dokumentation „Past Forward: Mehr als Gewalt und Pyro? So ticken Fußball-Ultras wirklich!“ beleuchtet die komplexe Welt der Ultras im deutschen Fußball und deren Einfluss auf die ostdeutsche Fußballidentität. Die Doku, die am 28. August 2024 ausgestrahlt wurde, geht der Frage nach, inwiefern die Fankultur im Osten Deutschlands von den gesellschaftlichen und historischen Gegebenheiten der Region geprägt ist.

Alexander Mennicke, ein Kulturwissenschaftler, der sich intensiv mit ostdeutschen Identitäten und dem Erbe der DDR in den Fußballstadien beschäftigt hat, wird in der Doku als Experte herangezogen. Er betont, dass Fußball im Osten Deutschlands eine der größten Massenbewegungen darstellt. „Fußball stiftet extrem viel Identität“, erklärt Mennicke und verweist darauf, dass viele Menschen in Ostdeutschland in Fankulturen organisiert sind. Diese Organisation prägt das kollektive Gedächtnis und die Identität der Fans, die oft durch die Geschichte ihrer Vereine und deren Erfolge, wie den Europapokalsieg des 1. FC Magdeburg 1974, beeinflusst werden.

Die Doku untersucht auch die Bedeutung der Fankultur in der DDR, wo Stadien als Freiräume dienten, in denen Menschen ihre Meinungen äußern konnten, ohne die Repression des Staates fürchten zu müssen. Mennicke hebt hervor, dass es im Stadion zu direkten Protesten gegen den Staat kam, was in der Öffentlichkeit oft nicht wahrgenommen wird. „Stadien waren ein Ventil“, sagt er und beschreibt, wie die Fans dort eine Art von Opposition gegen die staatlichen Strukturen bildeten.

Nach der Wiedervereinigung erlebte die ostdeutsche Fankultur jedoch einen dramatischen Wandel. Viele der traditionellen Strukturen gingen verloren, und die Zuschauerzahlen sanken erheblich. „Die Vereinsstrukturen sind einfach kaputtgegangen“, so Mennicke. Diese Veränderungen führten zu einer Abwertung der ostdeutschen Vereine, die bis heute nachwirkt.

Ein zentrales Thema der Doku ist die Abgrenzung zwischen Ultras und Hooligans. Während Hooligans oft mit Gewalt und rechten Ideologien in Verbindung gebracht werden, versuchen Ultras, sich von diesem Image zu distanzieren. In der Doku wird deutlich, dass die Ultras in Ostdeutschland oft ein starkes Selbstbewusstsein entwickeln, das sich von der westdeutschen Szene unterscheidet. „Wir sind authentischer, wir sind stärker“, wird in der Doku zitiert, was die Identität der ostdeutschen Ultras unterstreicht.

Die Doku thematisiert auch die Kommerzialisierung des Fußballs, die in den 1990er Jahren einsetzte und zu einem Umdenken in der Fankultur führte. Die Ultras sehen sich als Korrektiv in einem profitgetriebenen Geschäft, in dem die Regeln des Marktes dominieren. „Fußball sollte ein demokratisches Konstrukt sein“, sagt ein ehemaliger Ultra, was die Entfremdung zwischen Fans und Vereinen verdeutlicht.

Ein weiterer Aspekt, den die Doku beleuchtet, ist das soziale Engagement der Ultras. Trotz ihres oft negativen Images engagieren sich viele Gruppen in sozialen Projekten, wie etwa während der Corona-Pandemie, als sie Lebensmittelspenden organisierten. Diese positiven Beiträge zur Gesellschaft stehen im Kontrast zu den häufigen Berichten über Gewalt und Rassismus, die mit der Ultraszene assoziiert werden.

Die Doku endet mit einem versöhnlichen Ausblick auf die Zukunft der Ultras. Es wird deutlich, dass trotz der Herausforderungen, vor denen die Fankultur steht, die Ultras eine wichtige Rolle im Fußball spielen und einen bedeutenden Teil der ostdeutschen Identität ausmachen. „Wir haben eine Geschichte, die wir nicht vergessen dürfen“, wird in der Doku betont, was die tief verwurzelte Verbindung zwischen Fans und ihren Vereinen unterstreicht.

Insgesamt bietet die MDR-Doku „Past Forward: Mehr als Gewalt und Pyro?“ einen tiefen Einblick in die Welt der Ultras und deren Einfluss auf die ostdeutsche Fußballidentität. Sie zeigt, dass die Fankultur weit mehr ist als nur Pyrotechnik und Gewalt, sondern auch eine Form der Gemeinschaft und des sozialen Engagements darstellt.

Die Doku ist ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über die Rolle der Fans im modernen Fußball und deren Einfluss auf die Identität in Ostdeutschland. Sie regt dazu an, die Ultras nicht nur durch die Linse von Vorurteilen zu betrachten, sondern auch die positiven Aspekte ihrer Kultur zu erkennen.

Für weitere Informationen und um die Doku zu sehen, können Interessierte die MDR Mediathek besuchen.

Quellen: FAZ, MDR, MDR.

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