Der Mensch strebt nach Wahrheit und Erkenntnis. Doch dieser Weg ist mit Hindernissen gepflastert. "Es ist nicht das, wonach es aussieht", schreibt Christian Geyer-Hindemith in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 03.12.2024 über die Balzan-Preisträgerin Lorraine Daston und verweist damit auf die Herausforderung, Wahrheit von Illusion zu trennen. Besonders im Zeitalter der Informationsüberflutung und der allgegenwärtigen Medien lauern sogenannte Erkenntnisfallen.
Was genau sind Erkenntnisfallen? Es handelt sich um kognitive Verzerrungen, Vorurteile und Fehlschlüsse, die unsere objektive Wahrnehmung und Bewertung der Realität beeinträchtigen. Sie führen dazu, dass wir Informationen selektiv auswählen und interpretieren, um unsere bestehenden Ansichten zu bestätigen – der sogenannte Bestätigungsfehler. Ein weiteres Beispiel ist der Verfügbarkeitsfehler: Ereignisse, die uns leicht präsent sind, etwa durch Medienberichte, werden in ihrer Wahrscheinlichkeit überschätzt.
Die Geschichte liefert zahlreiche Beispiele für die weitreichenden Folgen von Erkenntnisfallen. Der Berliner Antisemitismusstreit (1879-1881) im Deutschen Kaiserreich verdeutlicht, wie Vorurteile und Ressentiments den öffentlichen Diskurs vergiften und zu gesellschaftlicher Ausgrenzung führen können. Wie im Wikipedia-Artikel zum Berliner Antisemitismusstreit beschrieben, entzündete sich die Debatte an einem Aufsatz von Heinrich von Treitschke, der die vermeintliche Bedrohung der deutschen Nation durch das Judentum anprangerte. Diese Argumentation fand in Teilen der Bevölkerung Widerhall und beförderte die Verbreitung antisemitischer Ideologien.
Auch der Nationalsozialismus kann als eine gewaltige Erkenntnisfalle interpretiert werden. Joachim Bruhn argumentiert in seinem Text "Nazismus als Erkenntnisfalle" auf ca-ira.net, dass die Geschichtswissenschaft allein nicht ausreiche, um die Gräueltaten des Holocaust zu begreifen. Er kritisiert die deutsche Geschichtswissenschaft, die seiner Ansicht nach elementare Logik verleugne, um deutsch sein und bleiben zu können. Bruhn bezieht sich dabei unter anderem auf die Argumente der Goldhagen-Debatte.
Die Auseinandersetzung mit Erkenntnisfallen ist nicht nur für Historiker relevant, sondern betrifft alle Lebensbereiche. Auch in der Wissenschaft spielen kognitive Verzerrungen eine Rolle. Lorraine Daston, ausgezeichnet für ihre Arbeiten zur Geschichte der Objektivität, hat sich intensiv mit den Schwierigkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung beschäftigt. Wie die FAZ berichtet, verschärft Daston ihre Theorie der Objektivität unter dem Eindruck der Pandemie medienkritisch. Die zunehmende Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien im Internet unterstreicht die Notwendigkeit, Informationen kritisch zu prüfen und sich der eigenen kognitiven Verzerrungen bewusst zu sein.
Um Erkenntnisfallen zu umgehen, ist es wichtig, Informationen aus verschiedenen Quellen zu beziehen, diese kritisch zu hinterfragen und die eigenen Vorurteile zu reflektieren. Die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und die eigene Meinung zu überdenken, ist entscheidend für ein differenziertes Bild der Realität.
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