19.10.2024
Asyldebatte im Fokus: Das Ruanda-Modell und seine Konsequenzen für Deutschland

Die Hand eines Flüchtlings ist an einem Zaun der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZABH) des Landes Brandenburg zu sehen.

Ruanda hat sich dazu bereit erklärt, Geflüchtete aus Großbritannien aufzunehmen und deren Asylverfahren abzuwickeln. Dieser Ansatz findet auch hierzulande Anklang. Die Ampelregierung will Drittstaaten-Lösungen prüfen.

Die Diskussion um das sogenannte Ruanda-Modell hat in den letzten Monaten erheblich an Fahrt gewonnen. Während die britische Regierung unter Premierminister Rishi Sunak die Umsetzung dieses Modells vorantreibt, stellt sich die Frage, ob ein ähnlicher Ansatz auch in Deutschland realisierbar wäre. Diese Debatte ist nicht nur politisch hochbrisant, sondern berührt auch tiefgreifende ethische und rechtliche Fragestellungen.

Das Ruanda-Modell: Ein Überblick

Das Ruanda-Modell sieht vor, dass Geflüchtete, die auf irregulären Wegen nach Großbritannien gekommen sind, nach Ruanda ausgeflogen werden. Dort sollen sie die Möglichkeit erhalten, Asyl zu beantragen, allerdings nur für das afrikanische Land. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist auch im Falle einer positiven Asylentscheidung nicht vorgesehen.

Die britische Regierung erhofft sich von diesem Modell eine abschreckende Wirkung, um die Zahl der irregulären Einreisen zu reduzieren. Gleichzeitig soll dieser Ansatz die humanitären Katastrophen im Ärmelkanal eindämmen, wo regelmäßig Menschen bei dem Versuch, Großbritannien zu erreichen, ums Leben kommen.

Reaktionen in Deutschland

Auch in Deutschland wird das Ruanda-Modell kontrovers diskutiert. Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine Debatte über ähnliche Modelle für die deutsche Flüchtlingspolitik angestoßen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr erklärte, dass eine rechtssichere Regelung Klarheit über den Schutzstatus schaffen und verhindern könnte, dass sich Menschen ohne Bleibeperspektive auf die gefährliche Route über das Mittelmeer begeben.

Die Union, insbesondere CDU/CSU, unterstützt die Idee einer Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ebenfalls. Im Europa-Programm der Union heißt es: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat außerhalb der EU gebracht werden und dort ein Verfahren durchlaufen.“

Rechtliche und ethische Bedenken

Die Umsetzung eines solchen Modells ist jedoch rechtlich und ethisch umstritten. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention bilden die rechtliche Grundlage für die deutsche Asylpolitik. Laut Völkerrechtler Daniel Thym gibt es zwar ein Recht auf Schutz, aber kein Recht auf Schutz in einem bestimmten Land. Er betont jedoch, dass die Bedingungen in den Drittstaaten entscheidend sind.

Petra Bendel, Migrationsforscherin an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, sieht das Ruanda-Modell kritisch. Ihrer Meinung nach untergräbt es das individuelle Recht auf Asyl und stellt die Einhaltung menschenrechtskonformer Asylverfahren in Drittstaaten infrage.

Praktische Herausforderungen

Die praktische Umsetzung des Ruanda-Modells in Deutschland wäre mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Die gerade erst beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) schließt es aus, Asylbewerber in Länder zu bringen, zu denen sie keinerlei Bezug haben. Dies war eine Forderung der deutschen Regierung in den Verhandlungen mit anderen EU-Staaten.

Darüber hinaus müssten sichere Drittstaaten gefunden werden, die bereit sind, entsprechende Abkommen zu schließen und die Einhaltung menschenrechtskonformer Asylverfahren zu garantieren. Dies könnte insbesondere in Ländern mit schwachen oder autoritären Regierungen problematisch sein.

Politische Positionen in Deutschland

Innerhalb der Ampel-Koalition sind die Positionen zum Ruanda-Modell unterschiedlich. Während die FDP und Teile der SPD eine Prüfung der Machbarkeit befürworten, äußern insbesondere die Grünen starke Vorbehalte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat angekündigt, die Machbarkeit des Konzepts für den deutschen Kontext zu prüfen, um den Ländern und Kommunen, die sich angesichts steigender Flüchtlingszahlen überfordert fühlen, entgegenzukommen.

Internationale Perspektiven

Das britische Beispiel wird in Deutschland genau beobachtet. Sollte das Ruanda-Modell in Großbritannien erfolgreich sein, könnte dies die Debatte in Deutschland weiter anheizen. Gleichzeitig gibt es auch internationale Kritik an dem britischen Ansatz. Menschenrechtsorganisationen und Justizexperten warnen davor, dass das Modell gegen internationale Abkommen verstoßen könnte.

Die Umsetzung des Ruanda-Modells in Großbritannien wurde bereits mehrfach juristisch angefochten. Im November 2023 erklärte der Oberste Gerichtshof in London ein bereits mit Ruanda geschlossenes Abkommen zur Abschiebung von Migranten für rechtswidrig. Das Gericht stufte Ruanda nicht als sicheren Drittstaat ein, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass Ruanda die Menschen in andere Länder abschiebe, in denen ihnen Verfolgung drohe.

Fazit

Die Debatte um das Ruanda-Modell zeigt die komplexen Herausforderungen, vor denen die Asylpolitik in Deutschland und Europa steht. Während einige politische Akteure in dem Modell eine Möglichkeit sehen, die irreguläre Migration zu reduzieren und humanitäre Katastrophen zu verhindern, gibt es erhebliche rechtliche und ethische Bedenken. Die kommenden Monate werden zeigen, ob und wie ein solches Modell in Deutschland realisierbar wäre und welche Folgen dies für die deutsche und europäische Asylpolitik haben könnte.

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