19.10.2024
US-Anklage gegen Hamas-Führung: Ein komplexes Bild der Nahost-Konflikte

Lage im Überblick: US-Justiz erhebt Anklage gegen Hamas-Chef Sinwar

Die US-Regierung hat im Zusammenhang mit dem Massaker am 7. Oktober 2023 in Israel rechtliche Schritte gegen den Hamas-Chef Jihia al-Sinwar und andere hochrangige Mitglieder der Terrororganisation eingeleitet. Das US-Justizministerium veröffentlichte am Dienstag Unterlagen zur Strafverfolgung, die bereits zu Beginn des Jahres eingereicht und bis jetzt geheim gehalten wurden. Diese Entwicklungen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem der Druck auf den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu aufgrund der jüngsten Tötung von sechs israelischen Geiseln steigt. Die Situation im Nahen Osten wird am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat in New York behandelt.

Sinwar und die anderen Beschuldigten sehen sich schweren Vorwürfen gegenüber, darunter Terrorismus, Verschwörung zum Mord und Umgehung von Sanktionen. US-Justizminister Merrick Garland erklärte in einer Videobotschaft, dass die Anklage sich gegen Sinwar und andere hochrangige Hamas-Mitglieder richtet, da sie eine jahrzehntelange Kampagne zur Tötung amerikanischer Bürger und zur Gefährdung der nationalen Sicherheit der USA finanziert und geleitet haben. Garland betonte, dass die Hamas in den letzten drei Jahrzehnten Tausende von Zivilisten umgebracht oder verletzt hat, darunter auch Dutzende amerikanische Staatsbürger.

Matthew Olsen, der im Justizministerium für nationale Sicherheit zuständig ist, äußerte sich ebenfalls zu den Gräueltaten der Hamas und erklärte, dass diese nicht hinnehmbar seien. Das Massaker vom 7. Oktober, bei dem mehr als 40 amerikanische Staatsbürger getötet wurden, sei nur der jüngste Ausdruck der Grausamkeit der Hamas. Olsen versicherte, dass das Justizministerium nicht ruhen werde, bis die Hamas für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wird.

Nach der Tötung von Ismail Hanija, dem Auslandschef der Hamas, Ende Juli in Teheran, wurde Sinwar als neuer Anführer der Gruppe ernannt. Sein Aufenthaltsort ist derzeit unbekannt, es wird jedoch vermutet, dass er sich im weit verzweigten Tunnelsystem der Hamas unter dem Gazastreifen versteckt. Sinwar gilt als der Hauptverantwortliche für den Terrorangriff vom 7. Oktober, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt wurden. Dieser beispiellose Angriff führte zu einem umfassenden Krieg, in dessen Verlauf nach palästinensischen Angaben mehr als 40.000 Menschen getötet und über 92.400 verletzt wurden. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde hat jedoch Schwierigkeiten, zwischen Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden, was die Verifizierung dieser Zahlen erschwert.

Am Dienstagabend kam es in Israel erneut zu großflächigen Demonstrationen, bei denen Tausende Menschen für ein Abkommen zur Freilassung der 101 im Gazastreifen verbliebenen Geiseln und einen Waffenstillstand eintraten. Demonstranten warfen der Regierung unter Netanjahu vor, wiederholt ein solches Abkommen torpediert zu haben. Berichten zufolge trugen einige Demonstranten Schilder mit der Aufschrift, dass das Blut der Geiseln an den Händen der Regierung klebe.

Der Oppositionspolitiker Benny Gantz kritisierte Netanjahu scharf und warf ihm vor, Fortschritte bei den Verhandlungen über ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln zu behindern. Gantz betonte die Notwendigkeit, die Geiseln zurückzubringen, selbst zu einem hohen Preis, und warf Netanjahu vor, die Öffentlichkeit über seine Bereitschaft, die Geiseln zurückzuholen, zu täuschen.

Die US-Regierung äußerte dennoch Optimismus hinsichtlich eines möglichen Abkommens zur Freilassung der Geiseln. John Kirby, Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, erklärte, dass eine Einigung möglich sei und dass man der Meinung sei, dass die Lücken zwischen den Parteien klein genug seien, um eine Einigung zu erzielen. US-Präsident Joe Biden sei persönlich in die Bemühungen eingebunden. Kirby wies auf Bidens Kritik hin, dass Netanjahu sich nicht ausreichend für ein Abkommen einsetze, und betonte die Notwendigkeit von Kompromissbereitschaft und Führung von allen Beteiligten.

Seit Monaten laufen indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, bei denen auch Katar und Ägypten als Vermittler fungieren, um einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln zu erreichen. Allerdings scheinen diese Gespräche nicht voranzukommen.

Die Lage im Nahen Osten und die jüngste Tötung von sechs israelischen Geiseln stehen am Mittwoch auf der Tagesordnung des UN-Sicherheitsrates. Der israelische Botschafter Danny Danon hatte in einem Schreiben Beratungen des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen gefordert. Danon forderte die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln. Auch Algerien beantragte eine Sitzung des Sicherheitsrates, um die Situation in Gaza und im Westjordanland zu erörtern.

Die Entwicklungen rund um die US-Anklage gegen Sinwar und die anhaltenden Konflikte im Nahen Osten zeigen die Komplexität und die Tragik der aktuellen Situation. Die internationale Gemeinschaft beobachtet die Geschehnisse mit großer Sorge, während die Menschen in der Region weiterhin unter den Folgen des Konflikts leiden.

Quellen: dpa, SZ.de, Zeit.de

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