19.10.2024
Schweizer Bankenskandal neu aufgerollt: Verfahrensfehler zwingen zu Wiederholung des Prozesses gegen Pierin Vincenz
In der Schweiz muss einer der aufsehenerregendsten Wirtschaftsprozesse der letzten zwei Jahrzehnte neu aufgerollt werden. Das Obergericht des Kantons Zürich hat das Urteil eines Bezirksgerichts im Verfahren gegen den ehemaligen Chef der Schweizer Bankengruppe Raiffeisen, Pierin Vincenz, und vier weitere Beschuldigte aufgehoben. Die Begründung des Obergerichts liegt in schwerwiegenden Verfahrensfehlern, die im ersten Prozess aufgetreten sind und die Rechte der Angeklagten auf ein faires Verfahren beeinträchtigt haben. Das Bezirksgericht Zürich hatte Pierin Vincenz 2022 unter anderem wegen Betrug, Urkundenfälschung und passiver Bestechung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Gericht bezog sich dabei auf eine Reihe von Firmenübernahmen, die Vincenz in seiner Funktion als Raiffeisen-Chef sowie als Präsident der Kreditkartenfirma Aduno getätigt hatte. Die Staatsanwaltschaft warf Vincenz vor, verdeckt an den Übernahmezielen beteiligt gewesen zu sein und so einen unrechtmäßigen persönlichen Gewinn von fast neun Millionen Franken erzielt zu haben. Zudem wurde ihm zur Last gelegt, dem Institut Ausgaben in Höhe von über 200.000 Franken für private Zwecke, wie Stripclubs und Kontaktbars, belastet zu haben. Während Vincenz diese Ausgaben als geschäftlich begründet ansah, ging diese Auslegung dem Gericht zu weit. In mehreren Anklagepunkten wurde Vincenz freigesprochen, während vier weitere Angeklagte für einen Teil der Tatbestände verurteilt wurden. Einer wurde vollständig freigesprochen und gegen einen weiteren wurde das Verfahren eingestellt. Die Aufhebung des Urteils durch das Obergericht erfolgte nun aufgrund von prozessualen Einwänden, die von den Beschuldigten und weiteren Beteiligten vorgebracht wurden. So wurde die Anklageschrift von einem der Beschuldigten, der Deutsch nicht ausreichend beherrscht, nicht übersetzt. Des Weiteren überschritt die "teilweise ausschweifende" Anklageschrift den gesetzlichen Rahmen, was es den Beschuldigten erschwerte, sich wirksam zu verteidigen. Das Gericht kam zum Schluss, dass Grundsätze zum rechtlichen Gehör verweigert worden seien. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich muss nun die Verfahrensmängel beheben und eine neue Anklage beim Bezirksgericht Zürich erheben. Laut dem Beschluss des Obergerichts steht die Gefahr einer Verjährung "nicht im Vordergrund". Die beteiligten Parteien haben aufgrund der Aufhebung des Urteils Anspruch auf eine angemessene Prozessentschädigung, die der Kanton Zürich übernimmt. Pierin Vincenz erhält demnach 34’698.25 Franken und Beat Stocker 64’620 Franken für ihre Anwaltskosten. Es ist unklar, wann der neue Prozess stattfinden wird und ob die Beschuldigten eine Befangenheit des Gerichts geltend machen können, sollte der Fall vor den gleichen Richterinnen und Richtern verhandelt werden. Im nächsten Prozess wird sich zeigen, ob die Vorwürfe gegen Pierin Vincenz und seine Mitangeklagten erneut als erwiesen angesehen werden. Im aufgehobenen Urteil hatten die Richter bei Vincenz "rein finanzielle Motive" als Antrieb für seine Taten gesehen. Bis zu einer erneuten Verhandlung bleibt der Fall jedoch weiterhin offen und die Vermögenswerte von Vincenz und weiteren Personen bleiben sichergestellt.
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