19.10.2024
Zukunft der Stahlsparte bei Thyssenkrupp unter Druck

Thyssenkrupp: Im Streit um die Zukunft der Stahlsparte fliegen die Fetzen

Der Konflikt zwischen der Thyssenkrupp AG und den Arbeitnehmern in der Stahlsparte hat sich in den letzten Wochen erheblich zugespitzt. Vor einer entscheidenden Aufsichtsratssitzung, die am Donnerstag stattfinden soll, äußerten die Anteilseignervertreter in einer gemeinsamen Erklärung ihre Besorgnis über die zunehmend emotional aufgeladenen Auseinandersetzungen. In dieser Erklärung wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmerseite die Stimmung übermäßig anstachele.

Die bevorstehende Sitzung sollte ursprünglich eine Zwischenfinanzierungsvereinbarung für den Stahlbereich verabschieden. Doch die Unsicherheit über den Verlauf der Sitzung ist groß. Stattdessen könnte es zu einem weiteren Austausch von Vorwürfen zwischen der Muttergesellschaft und der Tochtergesellschaft sowie zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern kommen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht ein Businessplan, der darauf abzielt, die Stahlsparte wieder profitabel zu machen, sowie die finanziellen Mittel, die der Konzern seiner Tochtergesellschaft im Rahmen ihrer Verselbständigung zur Verfügung stellen möchte.

Persönliche Anfeindungen und Vorwürfe

Die Anteilseignervertreter, zu denen auch der Aufsichtsratsvorsitzende Siegfried Russwurm und Ursula Gather, die Chefin der Krupp-Stiftung, gehören, verurteilten in ihrem Statement die „emotionale Aufladung und teils gezielt verletzende Verunglimpfungen“ und forderten die Verantwortlichen auf, die Situation nicht weiter zu eskalieren. Sie warnten davor, dass der Eindruck massenhaft drohender individueller Arbeitsplatzverluste vermittelt werde, was die Mitarbeitenden unnötig verunsichere.

Vor den Werkstoren von Thyssenkrupp Steel in Duisburg wurden erneut mobile Betriebsratsbüros eingerichtet, um den Beschäftigten Informationen zukommen zu lassen. Der Andrang war so groß, dass die Duisburger Verkehrsgesellschaft gezwungen war, eine Straßenbahnlinie aufgrund der chaotischen Verkehrslage zeitweise zu unterbrechen.

Angesichts der bevorstehenden Proteste und der Sicherheitsbedenken der Thyssenkrupp-Vorstände überlegen diese, an der Sitzung nur virtuell teilzunehmen. Die Unternehmensführung, angeführt von Miguel López, Volkmar Dinstuhl und Jens Schulte, sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, eine Einigung über die Sanierung der Stahlsparte zu erzielen, die eine langfristige Profitabilität gewährleisten soll.

Restrukturierungspläne und Kapazitätsreduktion

Die IG Metall hat Bedenken hinsichtlich der von López vorgeschlagenen Kapazitätsreduktionen geäußert. Es wird befürchtet, dass eine weitere Senkung der Produktionskapazitäten zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen könnte. Laut Gewerkschaft könnten bis zu 10.000 Stellen auf dem Spiel stehen, wenn die Produktion weiter gesenkt wird. Derzeit wird eine Reduktion auf 9 bis 9,5 Millionen Tonnen Stahl jährlich diskutiert.

Arbeitnehmervertreter argumentieren, dass eine weitere Senkung der Kapazitäten aus technischen Gründen problematisch sei, da Hochöfen nicht einfach teilweise abgeschaltet werden könnten. Thyssenkrupp hat jedoch betont, dass es keine konzernseitige Planungsvorgabe zum Betriebspunkt gebe, was die Arbeitnehmervertreter kaum beruhigen konnte.

Konflikt zwischen Unternehmensführung und Gewerkschaft

Die Auseinandersetzungen zwischen der Unternehmensführung und der Gewerkschaft haben sich zu einem offenen Konflikt entwickelt. Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall, wies die Vorwürfe der Anteilseigner zurück und bezeichnete die Erklärung als einen Versuch, Ursache und Wirkung umzudrehen. Er betonte, dass die Arbeitnehmerseite eine notwendige Restrukturierung nie in Frage gestellt habe.

Die Thyssenkrupp AG steht unter immensem Druck, da der Konzern mit rückläufigen Umsätzen und roten Zahlen kämpft. Der Umsatz ist im dritten Quartal um 6% auf etwa 9 Milliarden Euro gesunken, und der Konzern verzeichnete einen Verlust von 54 Millionen Euro. Die schwache Nachfrage in wichtigen Kundenindustrien wie der Automobilindustrie und dem Maschinenbau belastet die Ergebnisse der Stahlsparte erheblich.

Der Einstieg des tschechischen Milliardärs Kretinsky

Ein weiterer Aspekt des Konflikts ist der Einstieg des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky in die Stahlsparte. Kretinsky hat 20% der Anteile an Thyssenkrupp Steel Europe erworben, was bei den Arbeitnehmervertretern auf Widerstand gestoßen ist. Diese fühlen sich von der Unternehmensführung übergangen und haben Proteste organisiert. Kretinsky plant, seinen Anteil auf 50% zu erhöhen, was von der finanziellen Situation der Stahlsparte abhängt.

Die Thyssenkrupp AG versucht, die finanziellen Mittel für die Stahlsparte zu minimieren, während die Tochtergesellschaft eine umfassendere Finanzierung fordert. Die Arbeitnehmervertreter sehen einen Finanzierungsbedarf von rund 4 Milliarden Euro, während der Mutterkonzern nur maximal 2,5 Milliarden Euro bereitstellen möchte. Diese Differenz führt zu weiteren Spannungen zwischen den beiden Seiten.

Ausblick auf die Zukunft der Stahlsparte

Die kommenden Monate werden entscheidend sein für die Zukunft der Thyssenkrupp-Stahlsparte. Ein unabhängiges Gutachten, das von Wirtschaftsprüfern erstellt werden soll, wird wichtige Informationen über die Chancen für eine Sanierung und die Höhe der erforderlichen finanziellen Mittel liefern. Die Unternehmensführung hat sich zudem verpflichtet, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, was die Verhandlungen zusätzlich kompliziert.

Die Stahlsparte von Thyssenkrupp steht vor der Herausforderung, sich in einem schwierigen Marktumfeld zu behaupten und gleichzeitig die notwendigen Schritte zur Dekarbonisierung der Produktion zu unternehmen. Die Frage, ob die Unternehmensführung und die Arbeitnehmervertreter in der Lage sind, einen gemeinsamen Weg zu finden, bleibt abzuwarten.

Die Situation bei Thyssenkrupp ist ein Beispiel für die Herausforderungen, vor denen die deutsche Stahlindustrie steht, und verdeutlicht die Notwendigkeit einer klaren Strategie für die Zukunft.

Quellen: FAZ, Sharedeals, NZZ.

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