19.10.2024
ANF und Rosatom planen umstrittene Zusammenarbeit in Niedersachsen

ANF plant Kooperation mit russischem Atom-Konzern in Niedersachsen

Die Advanced Nuclear Fuels (ANF), eine Tochtergesellschaft des französischen Unternehmens Framatome, hat Pläne vorgestellt, in Niedersachsen Brennelemente für Atomkraftwerke zu produzieren, die auf sowjetischer oder russischer Bauart basieren. Diese Initiative erfolgt in Zusammenarbeit mit dem russischen Staatskonzern Rosatom. Die Absicht, ein Joint Venture mit Rosatom einzugehen, hat sowohl in der Öffentlichkeit als auch in politischen Kreisen Besorgnis ausgelöst.

Hintergrund der Kooperation

Im April 2024 berichteten Anwohner der Stadt Lingen im niedersächsischen Emsland über die Ankunft von russischen Ingenieuren in einem örtlichen Hotel. Diese Ingenieure sind offenbar mit der Brennelementefabrik in Lingen verbunden, die als eines der letzten Überbleibsel der deutschen Atomwirtschaft gilt. ANF produziert in dieser Anlage weiterhin Brennelemente für Atomkraftwerke in Europa, was seit dem Atomausstieg Deutschlands immer wieder in der Kritik steht. Die jüngsten Ereignisse, insbesondere die Ankunft von Mitarbeitern aus Russland, haben die Proteste von Atomkraftgegnern angeheizt, die die Kooperation mit einem Land, das derzeit international isoliert ist, als ungerechtfertigt ansehen.

Details zur geplanten Produktion

Die ANF plant, Brennelemente für Reaktoren sowjetischer und russischer Bauart in Osteuropa herzustellen, und beabsichtigt, dafür eine Lizenz von Rosatom zu erwerben. Rosatom ist nicht nur für den Betrieb von Kernkraftwerken verantwortlich, sondern auch für die Herstellung von Atomwaffen. Diese Tatsache wirft Fragen hinsichtlich der Sicherheitslage und der politischen Implikationen auf, da der Konzern in die völkerrechtswidrige Besetzung des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja verwickelt ist.

Die ANF rechtfertigt die Kooperation mit Rosatom mit dem Argument, dass man unabhängiger von direkten Brennelementelieferungen aus Russland werden wolle. Derzeit ist die Europäische Union stark von Russland abhängig, insbesondere im Bereich der Urananreicherung. Laut der Euratom-Versorgungsagentur war die EU im Jahr 2022 in einem Umfang von 20 bis 30 Prozent auf „Kernmaterial und Dienstleistungen im Bereich des Brennstoffkreislaufs“ aus Russland angewiesen. Diese Abhängigkeit ist ein zentraler Punkt in der Diskussion über die zukünftige Energiepolitik in Europa.

Reaktoren in der Europäischen Union

In der EU sind derzeit 19 Wasser-Wasser-Energie-Reaktoren (WWER) sowjetischer oder russischer Bauart in Betrieb. Diese befinden sich in verschiedenen Ländern, darunter Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Finnland und Ungarn. Für diese Reaktoren sind spezielle, sechseckige Brennelemente nötig, die ANF in der geplanten Kooperation mit Rosatom herstellen möchte. Framatome arbeitet seit 2018 an einem eigenen Design für diese Brennelemente, das als „100 Prozent europäisch“ angepriesen wird, mit dem Ziel, bis 2030 ein zugelassenes Design auf den Markt zu bringen. Bis zu diesem Zeitpunkt soll ANF Brennelemente mit der Lizenz von Rosatom produzieren.

Öffentliche Reaktionen und Bedenken

Die angestrebte Kooperation hat in der Öffentlichkeit und unter politischen Entscheidungsträgern für erheblichen Widerstand gesorgt. Umweltminister Christian Meyer (Grüne) äußerte Bedenken hinsichtlich der inneren und äußeren Sicherheit, insbesondere im Hinblick auf mögliche Sabotage und Spionage. Die hohe Zahl von rund 11.000 Einwendungen, die gegen das Vorhaben erhoben wurden, verdeutlicht die Besorgnis der Bevölkerung. Ein öffentlicher Erörterungstermin ist für November 2024 geplant, um die vorgebrachten Einwände zu diskutieren.

Die Bedenken beziehen sich nicht nur auf die sicherheitstechnischen Aspekte, sondern auch auf die moralische Dimension der Zusammenarbeit mit einem Land, das international wegen seiner militärischen Aggressionen in der Kritik steht. Kritiker argumentieren, dass Geschäfte mit Russland im Atomsektor unter den gegenwärtigen Umständen als unethisch betrachtet werden sollten.

Politische und wirtschaftliche Implikationen

Die geplante Kooperation zwischen ANF und Rosatom könnte auch weitreichende politische Folgen haben. Es besteht die Sorge, dass eine solche Zusammenarbeit den Einfluss Russlands im europäischen Energiesektor verstärken könnte. Experten warnen, dass die Abhängigkeit von russischen Brennelementen und Uranlieferungen weiter zunehmen könnte, was die geopolitische Stabilität in Europa gefährden würde. In Anbetracht der aktuellen geopolitischen Spannungen ist dies ein höchst sensibles Thema, das von verschiedenen Interessengruppen unterschiedlich bewertet wird.

Die Diskussion über die Atomkraft in Deutschland und Europa ist komplex und wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, darunter Umweltaspekte, wirtschaftliche Überlegungen sowie sicherheitspolitische Fragestellungen. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts wird die Rolle von Unternehmen wie ANF und Rosatom zunehmend kritisch hinterfragt, und die Meinungen über die zukünftige Energiepolitik in Deutschland und Europa gehen weit auseinander.

Ausblick

Die kommenden Monate werden entscheidend sein für die Zukunft der Brennelementefabrik in Lingen und die geplante Kooperation mit Rosatom. Der Erörterungstermin im November wird ein wichtiger Schritt sein, um die Meinungen der Öffentlichkeit zu hören und die Bedenken auszuräumen oder zu bestätigen. Die Entscheidungsträger werden gefordert sein, eine ausgewogene Entscheidung zu treffen, die sowohl den wirtschaftlichen Interessen als auch den sicherheitspolitischen und moralischen Aspekten Rechnung trägt.

Insgesamt bleibt die Situation um die ANF und die Kooperation mit Rosatom ein spannendes und kontroverses Thema, das nicht nur die lokale Bevölkerung, sondern auch die gesamte europäische Energiepolitik betrifft. Die Entwicklungen werden mit großem Interesse verfolgt, da sie weitreichende Konsequenzen für die Atomwirtschaft und die Beziehungen zwischen Europa und Russland haben könnten.

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