19.10.2024
Zwischen Beratung und Interessenkonflikt: Der Fall Veronika Grimm und die Unabhängigkeit der Wirtschaftsweisen
In der deutschen Wirtschaftspolitik zeichnet sich eine bemerkenswerte Kontroverse ab: Vier Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auch bekannt als die "Wirtschaftsweisen", haben ihrer Kollegin Veronika Grimm nahegelegt, von ihrem Amt zurückzutreten. Anlass ist ihr geplanter Wechsel in den Aufsichtsrat des Energieunternehmens Siemens Energy, was Fragen bezüglich möglicher Interessenkonflikte aufwirft. Veronika Grimm, die als Professorin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg tätig ist, zählt seit April 2020 zu den fünf Mitgliedern des Sachverständigenrates, der die Bundesregierung in wirtschaftspolitischen Fragen berät. Ihre Expertise in den Bereichen Energiemärkte, Energiemarktmodellierung und Verhaltensökonomie hat sie zu einer gefragten Ansprechpartnerin in der Energiepolitik gemacht. Die Kontroverse entzündet sich nun an der geplanten Doppelrolle Grimms. Während sie einerseits als unabhängige Beraterin der Bundesregierung fungiert, sieht sie sich andererseits mit der Einladung konfrontiert, im Aufsichtsrat von Siemens Energy eine Position zu übernehmen. Dieses Vorhaben stieß bei ihren Kollegen im Sachverständigenrat auf Bedenken. In einer E-Mail an den Finanzminister Christian Lindner und den Chef des Bundeskanzleramtes, Wolfgang Schmidt, äußerten die vier anderen Mitglieder ihre Sorge über den möglichen Interessenkonflikt, der durch Grimms Doppelfunktion entstehen könnte. Die Bedenken rühren daher, dass Grimm als Aufsichtsrätin von Siemens Energy möglicherweise Einfluss auf Entscheidungen nehmen könnte, die auch Gegenstand ihrer beratenden Tätigkeit für die Bundesregierung sind. Besonders heikel erscheint dies vor dem Hintergrund, dass Siemens Energy kürzlich staatliche Unterstützung in Form von Bürgschaften erhalten hat. Kritiker sehen in ihrem Schritt daher die Gefahr, dass die Unabhängigkeit ihrer Beratungstätigkeit untergraben werden könnte. Grimm selbst hat sich zu den Rücktrittsforderungen bisher nicht öffentlich geäußert. Es ist jedoch bekannt, dass solche Doppelmandate in der Vergangenheit unterschiedlich gehandhabt wurden. Während beispielsweise Wolfgang Franz seine Rolle als Vorsitzender des Sachverständigenrates mit einem Aufsichtsratsposten bei EnBW vereinbarte, trat Beatrice Weder di Mauro von ihrem Amt als Wirtschaftsweise zurück, als ihr ein Sitz im Verwaltungsrat der Schweizer Großbank UBS angeboten wurde. Die aktuelle Debatte rund um Veronika Grimm wirft ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, die sich ergeben, wenn Wissenschaft und Wirtschaft aufeinandertreffen. Einerseits ist die Expertise von Wissenschaftlern in Aufsichtsräten ein wertvoller Beitrag für Unternehmen, andererseits darf die Unabhängigkeit wissenschaftlicher Beratung nicht kompromittiert werden. Es stellt sich die Frage, wie solche Konflikte institutionell vermieden werden können. Der Sachverständigenrat selbst verfügt über keine festen Regeln für den Umgang mit diesen Doppelrollen. Die Entscheidung liegt somit bei den einzelnen Mitgliedern und den betreffenden Unternehmen. Angesichts der Bedeutung, die eine unabhängige wirtschaftswissenschaftliche Beratung für eine sachgerechte Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik hat, werden die Entwicklungen um Veronika Grimm und den Sachverständigenrat mit großer Aufmerksamkeit von Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit verfolgt. Welche Konsequenzen sich daraus für die zukünftige Arbeit des Gremiums und für die Regelungen bezüglich solcher Doppelmandate ergeben, bleibt abzuwarten.
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