19.10.2024
Ein Abend mit Musik und Anekdoten: Herbert Grönemeyer im Gespräch

Wenn Herbert Grönemeyer Bühnen in Frankfurt betritt, reicht normalerweise kaum das Waldstadion, um dem Andrang gerecht zu werden. Im Großen Haus des Schauspiels Frankfurt mit seinen 700 Plätzen durfte man sich deshalb am Donnerstagabend geradewegs wie der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf vorkommen, der auf einer privaten Party einmal eines vermeintlichen Doppelgängers Grönemeyers in einer Hollywoodschaukel sitzend gewahr wurde, bis ihm dämmerte, dort tatsächlich einen der größten deutschen Musikstars mit anderen Gästen plaudernd zu erblicken. In Frankfurt ist keine Party Anlass für die vergleichsweise unmittelbare Nähe des Publikums im ausverkauften Saal zu dem Sänger und Komponisten, sondern eine Buchpräsentation, die in ihrem Plauderton aber durchaus einem Gespräch zweier Freunde nahekommt, dem man lauschen darf. Der Freund, der Grönemeyer hier auf der Bühne befragt, ist Michael Lentz, Literaturprofessor, Musiker, Dichter, Romancier und als Träger des Ingeborg-Bachmann-Preises quasi auch amtlicher Großschriftsteller, der seit vielen Jahren mit dem Sänger befreundet ist, über den er nun das Buch „Grönemeyer“ (S. Fischer Verlag) geschrieben hat.

Es ist eine Biographie, aber keine, die nur das Leben eines berühmten Menschen in netten Anekdoten darreicht. Solche Anekdoten gibt es zwar, doch interessiert Lentz sich noch viel mehr für das Handwerk und damit das Geheimnis des Musikers, der ja nicht als Wunderkind ins Rampenlicht gekommen ist, sondern sich seinen Aufstieg über das Lagerfeuer-Geklampfe, die Tätigkeit am Theater in Bochum (immerhin mit Regie-Legende Peter Zadek) und von ihm selbst als erbärmlich bezeichnete erste Alben erarbeitet hat. Dafür hat Lentz die Songs des Freundes mit musiktheoretischen und literatur­ästhetischen Methoden vermessen. Das mag sich arg wissenschaftlich lesen, ist im Dialog aber schlicht hinreißend, wenn die mit augenzwinkernder Akribie vorgetragene Analyse etwa der Harmonik des Songs „Mensch“ mit seinen erweiterten Moll­akkorden, die beim Wort „Sonnenzeit“ zum Dur und dann zurück wechseln, beim amüsierten Grönemeyer, der das Lied ja komponiert hat, die spontane Reaktion „Aha“ hervorruft.

Aber mit musiktheoretischer Herangehensweise schreibt er ja auch nicht seine Lieder, sondern doch nach Gefühl, nach Tonfolgen, die dem begeisterten Sänger Grönemeyer über die Lautmalerei kommen und sich allmählich zu einer Musik fügen, die für ihn auch nach dem hundertsten Mal Singen noch Bestand haben soll, bevor er sich an die Texte macht. Denn Herbert Grönemeyer, der doch mit seinen Strophen Millionen Menschen aus der Seele zu sprechen scheint, vertont keine Texte, sondern vertextet vielmehr Musik, wie die erstaunten Zuhörer von Lentz am ulkigen Beispiel der „Bananentexte“ erfahren. So nennt Grönemeyer die englischsprachigen Fragmente, die ihm als textliche Platzhalter dienen, an denen die Melodie entlangführt.

Zum Entzücken des Publikums singt Grönemeyer solche Fragmente auch vor, die Lentz dann unter großem Gelächter in deutscher Übersetzung vorträgt, was den Nonsens sogar noch erhöht, weil er die da getroffenen Aussagen deutet. Der Clou ist aber, welche Zeilen Grönemeyer dann letztlich aus solchen „Bananentexten“ geformt hat. Die versetzen selbst den großen Poeten Michael Lentz nurmehr ins Schwärmen und lassen ihn etwa „Mensch“ als „bestes Stück der deutschen Popgeschichte“ preisen. Ganze Stadien würden ihm da wohl zustimmen.

Quelle: F.A.Z.

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