16.10.2024
Elif Shafak: Literatur als Gegenmittel zur Angst in Zeiten der Krisen

Bleibenden Eindruck hinterließ und großen Applaus erntete die britisch-türkische Autorin Elif Shafak als Gastrednerin am Dienstagmittag auf der Eröffnungs-Pressekonferenz zur 76. Frankfurter Buchmesse (16.–20. Oktober), wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete. Ein Glücksgriff. "Ich glaube wir leben in einer komischen Zeit", so Shafak, die Welt sei einerseits zerrissen von Kriegen, und andererseits tun wir unserer Heimat, der Erde, Gewalt an. Welche Rolle können dann Geschichten spielen, wo es überall Stressfaktoren gibt? Wir leben in einer Zeit, wo wir weniger Wissen hätten, obwohl uns dauernd Informationen aus Social Media überschwemmen. Informationen, bei denen wir keine Zeit hätten, sie zu überprüfen. "Wann haben wir das letzte Mal gesagt: 'Ich weiß es nicht'\"? Solch ein Ansatz sei ein wichtiger Aspekt für Philosophie und Kommunikation gewesen.  Wahres Wissen, das müsse man langsamer machen: "Wir brauchen langsamen Journalismus, wir brauchen Bücher". Und als Schriftstellerin betont sie: "Für Weisheit brauchen wir Literatur". Nicht, dass sie behaupten wolle, Autor:innen seien weiser, "aber wenn wir Bücher schreiben, verbinden wir uns mit etwas, was älter ist...". 

Als Autorin sei sie am Öko-Feminismus interessiert, führte Shafak weiter aus, und sie möchte den Ausgegrenzten eine Stimme geben. "Literatur kann Menschen wieder zu menschlichen Wesen machen. Wir können Würde wieder herstellen, wo es keine Würde gibt". So sei Schilderung der türkischen Geschichte vor allem eine männliche Geschichte, bei Frauen etwa, "da herrscht Stille". Man müsse in diesen Schichten der Stille quasi archäologisch graben. Literatur könne ein Akt der Hoffnung, des Widerstands sein. Dabei müsse Literatur Analyse während und nicht nur nach, wie es etwa Doris Lessing formuliert hätte, einem Ereignis sein. 

Dann schlug sie den Bogen zurück zum Anfang: "Wir leben in einem Zeitalter der existenzielle Angst". Wie können wir weitermachen? Ihre eigenste Angst sei die Abwesenheit von Emotion: "Das Schlimmste wäre es, wenn das Zeitalter der Angst zum Zeitalter der Apathie würde". Hier sei Literatur ein wichtiges Gegenmittel. Die Macht der Schriftsteller:innen sei es, Schönheit, Solidarität, Partnerschaft und Liebe zu vermitteln.

In ihrer Rede zur Eröffnung des 17. internationalen Literaturfestivals Berlin, die auf YouTube verfügbar ist, sprach Shafak über die zunehmende politische Polarisierung und die Rolle der Literatur in dieser Zeit. Sie betonte die Wichtigkeit von Empathie und emotionaler Intelligenz, die durch Literatur gefördert werden könnten.

Ähnliche Themen sprach Shafak in einem Interview mit der Berner Zeitung im Jahr 2021 an. Sie äußerte ihre Besorgnis über die zunehmende Gleichgültigkeit in der Gesellschaft angesichts globaler Krisen. Literatur könne dazu beitragen, diese Gleichgültigkeit zu überwinden und Menschen wieder zu verbinden.

In einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger im selben Jahr betonte Shafak, dass es in der heutigen Zeit keinen Raum mehr für politische Apathie gäbe. Schriftsteller:innen hätten die Verantwortung, ihre Stimme zu erheben und Missstände anzuprangern.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, dass Juergen Boos, der Leiter der Frankfurter Buchmesse, auf die übliche Fragerunde nach Shafaks Rede verzichtete, um die Botschaft der Autorin nachwirken zu lassen. Er sei sichtlich berührt gewesen von Shafaks Worten.

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