Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) und das französische Online-Medium Mediapart befinden sich in einem Konflikt über die Unabhängigkeit und Rolle des investigativen Journalismus. Auslöser ist eine gemeinsame Recherche im Zusammenhang mit dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), einem internationalen Netzwerk investigativer Journalist*innen. Mediapart wirft dem NDR „Zensur“ vor, da dieser die gemeinsamen Rechercheergebnisse nicht veröffentlicht habe. Der NDR weist diese Anschuldigungen entschieden zurück. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet, dass Mediapart dem NDR vorwirft, eine bereits weit fortgeschrittene Recherche über das OCCRP unterdrückt zu haben. Der NDR habe zunächst drei weitere Medien, darunter Mediapart, zur Mitarbeit eingeladen, die Veröffentlichung der Ergebnisse jedoch letztendlich gestoppt.
Im Zentrum des Streits steht die Finanzierung des OCCRP und dessen Verbindungen zur US-Regierung. Wie der NDR auf seiner Webseite darstellt, werfen Mediapart, das US-amerikanische „Drop Site News” (DSN), „Il Fatto Quotidiano” (Italien) und „Reporters United” (Griechenland) dem OCCRP vor, seit seiner Gründung 2008 mindestens 47 Millionen US-Dollar von verschiedenen US-Behörden erhalten zu haben. Diese Finanzierung, so die Kritik, gefährde die journalistische Unabhängigkeit des OCCRP. Der NDR gibt an, selbst an den Recherchen beteiligt gewesen zu sein. Laut Mediapart und DSN seien die staatlichen Gelder an Auflagen geknüpft, welche die Unabhängigkeit des OCCRP einschränken. So sei das OCCRP aufgrund der Förderrichtlinien in der Berichterstattung über US-bezogene Themen und Personen limitiert. Auch bei der Besetzung von Führungspositionen soll die US-Regierung ein Vetorecht besitzen. Mitarbeiter des US-Außenministeriums und der USAID hätten diese Informationen gegenüber NDR-Reporter*innen bestätigt, so die Darstellung von Mediapart und DSN. Eine USAID-Mitarbeiterin betonte jedoch, dass sich die Behörden nicht in redaktionelle Entscheidungen einmischen.
Das OCCRP selbst weist die Vorwürfe in einer Stellungnahme zurück und betont seine Unabhängigkeit. Der NDR berichtet, dass das OCCRP die Anschuldigungen als haltlos bezeichnet und als auf Andeutungen und Spekulationen basierend zurückweist. Das OCCRP habe Informationen über seine Geldgeber stets transparent gemacht und verfüge über Sicherheitsmechanismen, um seine Unabhängigkeit zu gewährleisten. Auch Drew Sullivan, Gründer und Leiter des OCCRP, versicherte laut NDR, dass das OCCRP die redaktionelle Kontrolle behalte. Die Welt berichtet, dass der NDR seine Zusammenarbeit mit dem OCCRP nach Bekanntwerden der Vorwürfe vorerst ausgesetzt hat. Die Recherchen des NDR hätten die Finanzierung des OCCRP durch die US-Regierung aufgedeckt. Die Geschichte sei jedoch von anderen Medien veröffentlicht worden.
Mediapart berichtet, dass die Entscheidung des NDR, die Recherche nicht zu veröffentlichen, auf Druck von Drew Sullivan, Mitbegründer und Leiter des OCCRP, zurückzuführen sei. Sullivan habe die NDR-Journalist*innen in E-Mails an OCCRP-Mitarbeiter diffamiert und sie mit dem russischen Propagandasender RT verglichen. Er habe zudem unbegründete Anschuldigungen gegen die Journalist*innen erhoben und behauptet, sie würden „Dreck ausgraben“, um ein falsches Narrativ zu konstruieren. Sullivan habe in den E-Mails auch Druck auf das NDR-Management ausgeübt. Der NDR bestreitet diese Darstellung. Laut FAZ widerspricht der Sender den Vorwürfen vehement.
Tichys Einblick berichtet über die Recherchen von Mediapart und betont die finanzielle Abhängigkeit des OCCRP von der US-Regierung. Das Portal stellt die Unabhängigkeit von Medien wie Spiegel, Süddeutscher Zeitung und NDR infrage, die das OCCRP-Netzwerk nutzen. Auch Perlentaucher dokumentiert die Berichterstattung von Mediapart über die Verbindungen zwischen OCCRP und der US-Regierung.
Der Fall wirft grundsätzliche Fragen zur Finanzierung von investigativem Journalismus und den potenziellen Einfluss von Geldgebern auf die Berichterstattung auf. Die unterschiedlichen Darstellungen von NDR und Mediapart verdeutlichen die Komplexität der Situation und die Notwendigkeit einer transparenten Aufarbeitung der Vorwürfe.
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