19.10.2024
Geheimdienste nutzen Standortdaten zur Spionage

Wie Geheimdienste Standortdaten zur Spionage nutzen

Der Handel mit Standortdaten kann zu einer Gefahr für die innere Sicherheit werden. Dies zeigen Recherchen von BR und netzpolitik.org. Sogar Mitarbeitende von Militär und Geheimdiensten können damit ausgespäht werden.

Einem Reporterteam von BR und netzpolitik.org liegen 200.000 Standortdaten von Personen vor, die sich offenbar auf dem Areal des Nato-Truppenübungsplatzes in Grafenwöhr aufgehalten und bewegt haben. Eine dieser Person war demnach nicht nur im militärischen Sperrgebiet in Grafenwöhr, sondern auch auf der Ramstein Airbase in Rheinland-Pfalz – dem größten US-amerikanischen Militärflughafen außerhalb der USA. Detailliert lässt sich anhand der Daten rekonstruieren, wohin die Person mit dem Auto fährt, welche Wege sie genau nimmt, wo sie essen geht und vieles mehr.

Zum BR24-Webspecial: Wohnort, Arbeit, ausspioniert

Daten von Millionen Menschen aus ganz Deutschland

Das sekundengenaue Bewegungsprofil der Person, die mutmaßlich für die US-Armee arbeitet, basiert auf einem umfangreichen Datensatz eines kommerziellen Datenhändlers, den ein Reporterteam von BR und netzpolitik.org ausgewertet hat. Die Daten umfassen 3,6 Milliarden einzelne Standortinformationen aus Smartphone-Apps, die Ortsdaten erfassen und an Dritte weiterverkaufen. Die Recherchen legen nahe, dass es sich um die Daten von mehreren Millionen Menschen aus ganz Deutschland handelt, mit denen sich teils sehr genaue Bewegungsprofile rekonstruieren lassen.

BR und netzpolitik.org haben in dem Datensatz auch die Bewegungsprofile von mutmaßlich mehreren zehntausend Personen gefunden, die in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten – etwa in Bundesministerien, Rüstungsunternehmen, an Dienststellen von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Bundeskriminalamt sowie Militär-Einrichtungen in Deutschland. Zwar enthält der Datensatz keine Namen. BR und netzpolitik.org konnten jedoch in mehreren Fällen Personen über deren Wohnorte und Arbeitsplätze identifizieren und ganze Tagesabläufe nachvollziehen.

Auch im oberpfälzischen Grafenwöhr lassen sich mutmaßliche Wohnorte, Arztbesuche, Dienstreisen und Hotelbesuche und weitere Details von mehreren Personen, die auf dem Truppenübungsplatz ein und aus gehen, anhand der Daten rekonstruieren. Ein ähnliches Bild zeigt sich an anderen sicherheitsrelevanten Orten in Bayern – etwa in den Liegenschaften des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach und Bad Aibling und an den US-Militärstandorten in Garmisch-Partenkirchen und Hohenfels. Überall finden sich in den Daten die Bewegungsprofile von einzelnen Personen, deren Alltag sich so leicht nachvollziehen lässt. Ein Einfallstor für Spionage, das laut Experten in Deutschland noch zu wenig Beachtung findet.

Einfallstore für "ausländische Mächte und Kriminelle"

Im Interview mit BR und netzpolitik.org spricht Konstantin von Notz, der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestags, das die Nachrichtendienste überwacht, von einem "relevanten Sicherheitsproblem". Der Grünen-Politiker warnt, dass feindlich gesinnte Staaten solche Daten zu Spionagezwecken nutzen könnten: "Wenn man weiß, wie Menschen sich verhalten und bewegen, dann sind sie ausspionierbar. Dann kann man"

Eine Gefahr für die nationale Sicherheit

Der BND-Standort in Bad Aibling – mit den Standorten von Telefonen, die laut Datensatz in diesem Areal geortet wurden. - Alle Rechte vorbehalten BR

Solche Bewegungsprofile bedrohen nicht nur die Grundrechte und Privatsphäre von Millionen Menschen, sondern sind auch eine Gefahr für die nationale Sicherheit, warnen Fachleute. Auf ihrer Grundlage lassen sich etwa Agent*innen oder Soldat*innen ausspionieren und verfolgen. Es lässt sich herausfinden, wo ihre Familien wohnen, wo und wann man ihnen auflauern könnte. Solche Daten können auch Erkenntnisse darüber liefern, wie Standorte von Militär oder Geheimdiensten genutzt werden.

Zwar ist bereits seit Jahren bekannt, dass Datenhändler die Standortdaten von Abermillionen Menschen verkaufen. Das zeigten Recherchen aus den USA, Norwegen den Niederlanden und der Schweiz. Forschende warnen eindringlich: Die Datensammelei der Werbe-Industrie

Das Bundesumweltministerium, das auch für Verbraucherschutz zuständig ist, zeigte sich den Berichten zufolge "alarmiert" über das Ergebnis der Recherchen. "Sind die Daten erst einmal in die Werbenetzwerke eingespeist, verlieren die Nutzer jegliche Kontrolle", zitieren netzwelt.org und der BR das Ministerium. "Derartige sensible personenbezogene Informationen sollten in einer freien Gesellschaft nicht für kommerzielle Zwecke Dritter verfügbar sein."

Abgeordnete sehen Sicherheitsrisiko

Auch Bundestagsabgeordnete fordern Konsequenzen aus den Erkenntnissen über das Ausmaß des Datenhandels. Konstantin von Notz (Grüne), der Vorsitzende des für Aufsicht über Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums, bezeichnete die Situation demnach als "relevantes Sicherheitsproblem", die ein "untragbarer Zustand" sei.

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