Die Kriegsgräberstätte Ludwigstein in Witzenhausen, Nordhessen, ist die letzte Ruhestätte für rund 290 Menschen verschiedenster Herkunft, die im oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg starben. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nutzt diesen Ort, um Schülerinnen und Schülern die Schicksale der dort Begrabenen näherzubringen und für Frieden, Toleranz und Demokratie zu sensibilisieren. Wie die Zeit am 1. November 2024 berichtete, setzt der Volksbund dabei auf innovative Methoden wie "History Caching".
Bei diesem interaktiven Geocaching-Spiel suchen Jugendliche in Kleingruppen auf dem Gelände der Burg Ludwigstein nach versteckten Gegenständen aus dem Kontext des Zweiten Weltkriegs. Fundstücke wie die Armbinde eines KZ-Häftlings, Essgeschirr aus einem Arbeitslager oder eine Gürtelschnalle der Wehrmacht, kombiniert mit Informationen zu den Biografien der auf der Kriegsgräberstätte begrabenen Menschen, sollen die Jugendlichen emotional berühren und zum Nachdenken anregen. Maike Bartsch, Regionalbeauftragte des Volksbundes Hessen-Nord, betont die Bedeutung der persönlichen Identifikation mit den Einzelschicksalen, um die Geschichte für die junge Generation greifbar zu machen.
Die Arbeit des Volksbundes beschränkt sich nicht nur auf die Pflege von Kriegsgräberstätten. Durch Workcamps, Begegnungs- und Bildungsstätten im In- und Ausland will die Organisation den Wert von Menschenrechten, Demokratie und Frieden vermitteln und die Auseinandersetzung mit Extremismus, Nationalismus und Rassismus fördern. Ein zentrales Anliegen ist es, den Jugendlichen die Relevanz der Geschichte für ihr eigenes Leben aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass sich Geschichte wiederholen kann, wenn nicht aus ihr gelernt wird. Parallelen zwischen dem Antisemitismus im Dritten Reich und heutigen Formen der Judenfeindlichkeit sowie die Aktualität populistischer Parolen werden dabei thematisiert.
Auch Susann Gessner, Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der Philipps-Universität Marburg, sieht in der politischen Bildung den Schlüssel zum Weltverstehen junger Menschen. Sie widerspricht der Annahme, dass Jugendliche kein Interesse am politischen Geschehen hätten. Vielmehr sieht sie im engen Politikbegriff, der oft auf Institutionen und das politische Tagesgeschäft reduziert wird, eine Hemmschwelle für politische Bildung im schulischen Kontext. Außerschulische Angebote wie die des Volksbundes bieten hier die Chance, offenere und ungewöhnlichere Zugänge zu wählen und den Jugendlichen einen bewertungs- und druckfreien Raum zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Themen zu bieten.
Gessner betont die Wichtigkeit von Bildungsprozessen, die für die Jugendlichen nicht nur im Hinblick auf Schule und Prüfungen relevant sind, sondern auch eine persönliche Bedeutung haben. Kognitive, emotionale und soziale Dimensionen sollten dabei gleichermaßen angesprochen werden. Interkultureller Austausch und die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven sind essentiell, um starre Weltbilder aufzubrechen und ein Verständnis für die Gewordenheit aktueller Geschehnisse und gesellschaftlicher Verhältnisse zu entwickeln. Die Auseinandersetzung mit historisch-politischen Themen kann Jugendlichen vermitteln, dass die Welt nicht statisch ist, sondern sich in einem ständigen Entwicklungs- und Veränderungsprozess befindet. Diese Erkenntnis kann mit der eigenen Aussicht auf Selbstentwicklungsmöglichkeiten verbunden werden.
Politische Bildung hat laut Gessner auch einen Allgemeinbildungsanspruch. Es geht darum, Jugendlichen das eigene politische Denken zu ermöglichen und ihnen das Potenzial zur Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft aufzuzeigen.
Quellen: