Berlin – Die Diskussion um den neuen Dieselkraftstoff HVO100 und seine Auswirkungen auf die Umwelt hat eine neue Dimension erreicht. Nach intensiven Abgastests und einer Reihe von Kontroversen hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erneut alarmierende Ergebnisse veröffentlicht. Der Kraftstoff HVO100 steht im Zentrum dieser Debatte, da er angeblich sowohl gesundheitsschädlicher als auch umweltbelastender ist als herkömmlicher Diesel.
Aktuelle Abgasmessungen des Emissions-Kontroll-Instituts (EKI) der Deutschen Umwelthilfe an einem Euro-5-Diesel-Pkw bestätigen nach den bereits am 27. Juni 2024 veröffentlichten Messungen an einem VW Touareg Diesel Euro 5, dass die gesundheitsschädlichen Stickoxidemissionen (NOx) mit HVO100 auch bei einem Mercedes E-Klasse Diesel mit derselben Abgasstufe deutlich ansteigen. Der mit dem Lobbyskandal durch Geldzahlungen an Politikerkontakte bekannt gewordene Dieselkraftstoff HVO100 führt bei dem zweiten gemessenen Diesel-Pkw zu 17 Prozent höheren NOx-Emissionen gegenüber der Verwendung normalen Dieselkraftstoffs. Die DUH widerlegt damit erneut die Behauptung des Verkehrsministers, mit dem neuen Dieselkraftstoff HVO100 könne die „lokale Umweltbelastung in Städten und Kommunen“ reduziert werden.
Das Bundesverkehrsministerium, geführt von Volker Wissing, sieht sich nun erheblichem Druck ausgesetzt. Bereits im Herbst 2023 lagen dem Ministerium alarmierende Abgasmessungen von Diesel-Fahrzeugen mit erhöhten Stickoxid- und stark erhöhten Partikelwerten vor. Die DUH hat am 17. Juli beim Verwaltungsgericht Berlin Klage eingereicht, um die Herausgabe dieser Abgasmessungen zu erzwingen. Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, äußerte sich dazu: „Der Skandal-Kraftstoff HVO100 senkt weder die Schadstoffbelastung in unseren Städten noch verhindert der Kraftstoff eine kurzfristige Stilllegung von 8 Millionen Dieselfahrzeugen oder alternativ deren technische Nachrüstung.“
Messungen der DUH an einem Mercedes E 220 CDI zeigen, dass die Stickoxidemissionen mit konventionellem Dieselkraftstoff bereits bei durchschnittlich 518 mg NOx/km lagen, während sie mit HVO100 um 17 Prozent auf 605 mg NOx/km anstiegen. Damit emittiert der Euro-5-Diesel-Pkw das 3,4-fache des erlaubten Grenzwertes von 180 mg NOx/km. Auch bei den klimaschädlichen CO2-Emissionen konnte keine Minderung durch den Kraftstoff HVO100 festgestellt werden.
Die Kritik richtet sich nicht nur gegen den Kraftstoff selbst, sondern auch gegen das Verhalten des Verkehrsministeriums. Axel Friedrich, Leiter des Emissions-Kontroll-Instituts der DUH, betont: „Anstatt Messprotokolle herauszugeben, die die Aussagen des Verkehrsministeriums belegen würden, versucht das Ministerium, die Messungen des Emissions-Kontroll-Instituts zu diskreditieren. Unsere Messungen an den beiden Fahrzeugen belegen die Erhöhung der Stickoxid-Emissionen durch den Einsatz von HVO100.“
Ein weiteres Problem stellt die Herkunft der Rohstoffe für HVO100 dar. 99,9 Prozent der Ausgangsstoffe stammen nicht aus Deutschland, sondern werden in großen Mengen aus Asien importiert. Dabei handelt es sich wahrscheinlich mindestens teilweise um umdeklariertes klimaschädliches Palmöl. Dies führt zu massiven Importabhängigkeiten und Betrugsrisiken.
Die DUH fordert daher eine Nachrüstung der schmutzigen Diesel-Pkw und Nutzfahrzeuge auf Kosten der Hersteller statt klima- und gesundheitsschädlicher Pseudo-Alternativen. Zudem müsse das Verkehrsministerium die vorliegenden Untersuchungsergebnisse endlich veröffentlichen und transparent machen.
Das Bundesverkehrsministerium weist die Vorwürfe der DUH zurück. In einer Stellungnahme heißt es, dass keine belastbaren Ergebnisse präsentiert wurden, die die behauptete Verschlechterung der Schadstoffemissionen beim Betrieb mit HVO100 belegen würden. Zudem kritisiert das Ministerium, dass die DUH nur ein Fahrzeug getestet habe, für das herstellerseitig keine Freigabe für HVO100 bestehe.
Wissenschaftler und Technikexperten widersprechen den Behauptungen der DUH. Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) betont, dass eine Auswertung der einschlägigen internationalen Literatur zum gegenteiligen Ergebnis kommt. Auch Dr.-Ing. Olaf Toedter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) betont, dass HVO-Abgase bis zu 80 Prozent weniger Partikelmasse enthalten als B7-Diesel-Abgase.
Die Kontroverse um HVO100 zeigt die Komplexität und die unterschiedlichen Perspektiven auf die Nutzung alternativer Kraftstoffe. Während die DUH auf die gesundheitlichen und umwelttechnischen Risiken hinweist, betonen andere Experten die potenziellen Vorteile von HVO100. Wie sich die Debatte weiterentwickelt und welche Maßnahmen letztlich ergriffen werden, bleibt abzuwarten.