19.10.2024
Katalonien vor einer politischen Wende: Separatisten unterstützen Sozialisten

Für Steuerautonomie: Katalanische Separatisten wollen Sozialisten wählen

In den letzten Wochen hat sich die politische Landschaft in Katalonien erheblich verändert. Die katalanischen Separatisten, die in den vergangenen Jahren eine dominierende Rolle in der regionalen Politik gespielt haben, stehen vor einer entscheidenden Wende. Zwei große separatistische Parteien, die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) und die Junts per Catalunya, zeigen unterschiedliche Ansätze in Bezug auf eine mögliche Zusammenarbeit mit den Sozialisten. Insbesondere die ERC hat den Vorschlag gemacht, die sozialistische Partei PSOE unter der Führung von Salvador Illa zu unterstützen, was einen tiefgreifenden Wandel in der katalanischen Politik darstellen würde.

Die Entscheidung der ERC

Am Freitag haben die Mitglieder der ERC in einer entscheidenden Abstimmung mit einer Mehrheit von über 53 Prozent für eine Zusammenarbeit mit den Sozialisten gestimmt. Dieses Votum könnte die Wahl von Salvador Illa zum neuen Regionalpräsidenten von Katalonien ermöglichen. Illa, der bei den vorgezogenen Wahlen im Mai als stärkster Kandidat hervorging, könnte somit der erste Regionalpräsident seit vielen Jahren werden, der gegen eine Abspaltung Kataloniens eingestellt ist.

Die ERC, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens starkmacht, sieht in dieser Zusammenarbeit eine Möglichkeit, ihre Forderungen nach finanzieller Autonomie durchzusetzen. Laut dem vereinbarten Plan sollen die katalanischen Behörden die Hoheit über die Erhebung und Verwaltung von Steuern übernehmen. Dies würde Katalonien eine beispiellose finanzielle Selbstständigkeit ermöglichen und könnte als erster Schritt in Richtung einer vollständigen politischen Unabhängigkeit betrachtet werden.

Widerstand aus der Opposition

Während die Entscheidung der ERC von vielen als historisch angesehen wird, gibt es auch erhebliche Bedenken und Widerstand. In der Opposition haben mehrere prominente Politiker der Volkspartei (PP) und anderer Fraktionen lautstark gegen die Zugeständnisse an die Separatisten protestiert. Sie warnen vor einem "steuerlichen Staatsstreich" und argumentieren, dass eine solche Vereinbarung die Solidarität zwischen den spanischen Regionen untergraben könnte. Insbesondere die drei Regionalvorsitzenden der PSOE haben sich gegen die Zugeständnisse ausgesprochen und fordern eine ausführliche Debatte zu diesem Thema.

Die ERC-Generalsekretärin Marta Rovira betonte, dass die finanzielle Autonomie nicht das Ende des Katalonien-Konflikts bedeute. Sie bekräftigte, dass die Partei weiterhin ein Referendum über die politische Zukunft Kataloniens unterstützen werde, um den Wunsch nach Unabhängigkeit zu verdeutlichen.

Die Rückkehr von Carles Puigdemont

Ein weiterer bedeutender Faktor in dieser politischen Situation könnte die Rückkehr von Carles Puigdemont, dem ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten, sein. Puigdemont, der seit fast sieben Jahren im Exil in Belgien lebt, hat angekündigt, an der nächsten Sitzung des katalanischen Parlaments teilzunehmen, obwohl ihm in Spanien die Festnahme droht. Seine Rückkehr könnte die Dynamik der Abstimmung über die Wahl von Salvador Illa erheblich beeinflussen.

Puigdemonts Partei, Junts, hat bei den letzten Wahlen eine starke Position eingenommen und könnte die Stimmen der separatistischen Abgeordneten beeinflussen. Falls Puigdemont festgenommen wird, könnte dies den Druck auf die ERC-Abgeordneten erhöhen, sich gegen die Wahl Illas auszusprechen. Bei der letzten Abstimmung sprachen sich fast 45 Prozent der ERC-Mitglieder gegen die Wahl Illas aus, was auf eine gewisse Spaltung innerhalb der separatistischen Bewegung hinweist.

Politische Implikationen für Spanien

Ein Wahlerfolg von Illa könnte nicht nur die Machtverhältnisse in Katalonien verändern, sondern auch weitreichende Auswirkungen auf die spanische Politik im Allgemeinen haben. Pedro Sánchez, der spanische Ministerpräsident, ist auf die Unterstützung der sieben Abgeordneten von Puigdemonts Junts angewiesen, um seine Minderheitsregierung zu stabilisieren. Ein Zerwürfnis zwischen Sánchez und den katalanischen Separatisten könnte die politische Lage in Madrid gefährden und zu einem Stillstand führen.

Die Verhandlungen über die steuerliche Autonomie und die potenzielle Wahl von Illa als Regionalpräsident stehen also im Kontext eines komplexen politischen Spiels, in dem sowohl regionale als auch nationale Interessen aufeinanderprallen. Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, um zu beobachten, ob die ERC sich weiterhin auf eine Zusammenarbeit mit den Sozialisten einlässt oder ob interne Spannungen und der Druck aus der Opposition zu einem Umdenken führen werden.

Ausblick

Die Situation in Katalonien bleibt angespannt und ungewiss. Die grundlegenden Fragen der politischen Identität, der finanziellen Autonomie und der Unabhängigkeit werden die katalanische Gesellschaft weiterhin beschäftigen. Die Entscheidung der ERC, mit den Sozialisten zu kooperieren, könnte einen neuen Kurs in der katalanischen Politik einleiten, stellt aber auch die Frage, wie die Separatistenbewegung auf diese Veränderungen reagieren wird.

In den kommenden Tagen wird eine Online-Konsultation der ERC-Basis stattfinden, die über die Vereinbarung mit den Sozialisten entscheiden soll. Die Ergebnisse dieser Befragung könnten entscheidend sein, um die Richtung der katalanischen Politik für die nächsten Jahre festzulegen. Unabhängig vom Ausgang wird klar, dass Katalonien sich an einem Wendepunkt befindet, an dem die Entscheidungen der politischen Akteure weitreichende Konsequenzen für die Region und darüber hinaus haben werden.

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