Das neue Medikament Lenacapavir könnte einen Paradigmenwechsel in der HIV-Prävention einläuten. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet, bietet eine halbjährliche Injektion des Wirkstoffs einen effektiven Schutz vor einer HIV-Infektion. Diese vielversprechenden Ergebnisse der Phase-3-Studie „Purpose 2“ wurden im renommierten „New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht und von Astrid Berner-Rodoreda vom Universitätsklinikum Heidelberg als Durchbruch bezeichnet.
Die halbjährliche Depotspritze mit Lenacapavir gewährleistet einen langanhaltenden Schutz vor HIV und stellt damit eine deutliche Verbesserung gegenüber der bisherigen täglichen Tabletteneinnahme von Präexpositionsprophylaxen (PrEP) wie Truvada dar. Dies vereinfacht die Anwendung erheblich und reduziert laut Berner-Rodoreda, wie die dpa berichtet, das Stigma, das in Ländern mit hoher HIV-Prävalenz mit der täglichen Einnahme von Medikamenten verbunden sein kann. Die diskrete Injektion bietet insbesondere Frauen in Afrika südlich der Sahara einen entscheidenden Vorteil, wie die "Zeit" am 24. Juli 2024 berichtete.
Aufgrund des positiven Verlaufs wurden sowohl die „Purpose 1“- als auch die „Purpose 2“-Studie vorzeitig beendet, um allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen den Zugang zu Lenacapavir zu ermöglichen. Der Hersteller Gilead strebt nun die Zulassung als HIV-Prophylaxe in verschiedenen Ländern an und arbeitet daran, die Versorgung auch in Ländern mit niedrigem Einkommen sicherzustellen. Wie die "Zeit" am 24. Juli 2024 berichtete, ist das Medikament in der EU bereits zur Behandlung bestimmter HIV-Patienten zugelassen, wurde jedoch in Deutschland noch nicht eingeführt.
Lenacapavir soll präventiv bei Personen mit erhöhtem HIV-Infektionsrisiko eingesetzt werden. Der Wirkstoff greift den Viruslebenszyklus an mehreren Stellen an. Max von Kleist von der Freien Universität Berlin, Leiter der Forschungsgruppe „Mathematics for Data Science“, erklärte gegenüber der dpa, dass Lenacapavir eine mit Truvada vergleichbare, nahezu vollständige Schutzwirkung aufweist. Die scheinbar höhere Infektionsrate in den Truvada-Kontrollgruppen der Studien sei auf die oft inkonsequente Einnahme der täglichen Tabletten zurückzuführen.
Eine Herausforderung stellen die Kosten von Lenacapavir dar. Die Behandlung einer bestehenden HIV-Infektion kostet in den USA etwa 42.000 Dollar pro Jahr, was für viele Menschen in ärmeren Ländern unzugänglich ist. Berner-Rodoreda betont die Notwendigkeit eines bezahlbaren Zugangs, insbesondere in Ländern mit hohem Bedarf. Auch das Risiko von Resistenzen bei längerer Anwendung von Lenacapavir muss berücksichtigt werden, wie Max von Kleist im Artikel der "Zeit" vom 24. Juli 2024 hervorhob. Da der Wirkstoff nach Absetzen der Injektion noch für etwa ein Jahr im Körper nachweisbar ist, könnte eine Nachbehandlung mit Truvada notwendig sein, um Resistenzbildungen zu vermeiden.
An der „Purpose 2“-Studie nahmen knapp 3.300 HIV-negative Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko teil. Von den rund 2.200 Probanden in der Lenacapavir-Gruppe infizierten sich zwei Personen mit HIV, während es in der Truvada-Vergleichsgruppe (ca. 1.100 Probanden) neun Infektionen gab. Lenacapavir reduzierte das Infektionsrisiko somit um 96 Prozent. Beide Medikamente wurden im Allgemeinen gut vertragen.
Die „Purpose 1“-Studie, deren Ergebnisse im Juli auf der Welt-Aids-Konferenz in München und im NEJM präsentiert wurden, zeigte ebenfalls vielversprechende Resultate. An dieser Studie nahmen rund 5.300 HIV-negative Mädchen und junge Frauen in Südafrika und Uganda teil. In der Lenacapavir-Gruppe gab es keine HIV-Infektionen, während es in den Kontrollgruppen mit anderen Präventionsmedikamenten 55 HIV-Infektionen gab.
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