22.10.2024
Neue Hoffnung bei Therapieresistenter Depression Esketamin Nasenspray zeigt Wirkung

An Simone stimmte einfach alles. Sie war schön, klug und liebevoll. Ein Sonnenschein, jeder mochte sie auf Anhieb. Für Jakob Prengel war sie die Liebe seines Lebens. Aus erster Ehe hatte er zwei Kinder, sie eines. Beide heirateten, bekamen einen gemeinsamen Sohn. Das Glück schien perfekt. Bis Simone 2008 an Brustkrebs erkrankte. Ab diesem Zeitpunkt verdüsterte sich das Leben von Jakob zusehends, wie Sabine Hoffmann in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ berichtet.

„Das stürzte mich in eine tiefe Lebenskrise“, erzählt der Sachbearbeiter aus Berlin. „Ich hatte große Angst, sie zu verlieren. Diese Angst bestimmte irgendwann mein ganzes Leben. Ich traute mich nicht mehr, aus dem Haus zu gehen, war antriebslos, konnte mich nicht mehr richtig auf meine Arbeit konzentrieren und befürchtete, im Job nicht mehr zu genügen.“

Seine Frau überredete ihn, sich untersuchen zu lassen. 2011 bekam Johann Prengel die Diagnose Depression, wurde sechs Wochen lang stationär behandelt. Es war der Beginn eines langen Leidenswegs. Anschließend begab er sich in die tagesklinische Behandlung in der Fliedner Klinik Berlin, einem deutschlandweit renommierten Zentrum für Betroffene mit depressiven Erkrankungen. Mehrere tagesklinische Aufenthalte folgten, in der Fliedner Klinik und in der Charité.

Danach ging es ihm jedes Mal wieder eine Zeit lang gut. Dann setzte die nächste depressive Phase ein. Seine Stimmung war so gedrückt, dass er sich wieder in Therapie begeben musste. „Als meine Frau 2014 starb, ging es mir natürlich sehr schlecht“, sagt der heute 59-Jährige. „Aber der absolute Tiefpunkt kam erst kurz nach Weihnachten 2022, zum Jahreswechsel. Ein paar Monate vorher hatte ich mich körperlich und seelisch noch so gut gefühlt, dass ich dachte, endlich ginge es bergauf. Dann zog ich mir eine schwere Grippe zu, war völlig ausgelaugt und kraftlos und fragte mich, was das alles noch sollte. Ich sah keinen Sinn mehr in meinem Leben. Obwohl ich Antidepressiva nahm, bestimmte die Farbe Schwarz mein Leben.“

Hoffnungsschimmer Esketamin-Nasenspray

Während eines erneuten tagesklinischen Aufenthaltes in der Fliedner Klinik Berlin erfuhr er von einem anderen Patienten, der zusätzlich zu einem Antidepressivum mit einem Esketamin-Nasenspray behandelt worden war. Es hatte seinem Mitpatienten nicht geholfen. Johann Prengel wollte es trotzdem ausprobieren: „Ich hoffte einfach, dass es bei mir wirkt.“

Solche Fälle begegnen Professor Mazda Adli jeden Tag. Er ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité. Seit 27 Jahren beschäftigt sich der Psychiater mit diesem Thema, hat Tausende Patienten behandelt. Depressionen sind weit verbreitet. Der Deutschen Depressionsliga zufolge sind über fünf Millionen Menschen in Deutschland daran erkrankt.

Vielfältige Behandlungsmöglichkeiten

„Meist ist eine Depression nicht auf eine einzelne Ursache oder einen einzigen Auslöser zurückzuführen“, erklärt der Medizinprofessor. „Vielmehr entwickelt sie sich aus einem Zusammenspiel unterschiedlicher Einflüsse. Es gibt einerseits biologische Faktoren, die zu einer Veranlagung, also einem erhöhten Risiko, depressiv zu erkranken, führen. Hinzu kommen meist aktuelle Auslöser, die bei Menschen mit dieser Veranlagung das Auftreten einer Depression bewirken können.“ Diese verläuft in Phasen, die einmalig oder wiederholt auftreten können.

Abhängig vom Schweregrad der Depression stehen unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die zum Teil auch kombiniert werden. Dazu zählen psychotherapeutische Verfahren wie zum Beispiel die Verhaltenstherapie sowie die medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva. Oft kommen noch weitere Angebote hinzu wie Bewegungs- und Sporttherapie, Entspannungsverfahren, Kunst- oder Musiktherapie, die zur Verbesserung der Symptomatik, der Alltagsbewältigung und der Lebensqualität beitragen können.

Schwierige Behandlung bei Therapieresistenz

Allerdings finden bis zu 30 Prozent aller Menschen, die von schweren Depressionen betroffen sind, trotz medikamentöser Behandlung keine Linderung. Sie sprechen wie Jakob Prengel nicht auf eine konventionelle Therapie mit Antidepressiva an. Therapieresistente Depression heißt das in der Fachsprache. „Der Begriff ist allerdings irreführend“, erklärt Adli. „Es bedeutet vor allem, dass es sich um eine hartnäckige Depression handelt. Diese verläuft komplizierter, und es dauert länger, sie zu behandeln.“

Für diese Betroffenen steht seit dem Jahr 2021 jenes Nasenspray zur Verfügung, das Esketamin enthält. Esketamin ist eine Form von Ketamin, das seit Langem als Narkosemittel verwendet wird und als Partydroge „Special K“ bekannt ist. „Esketamin entfaltet eine Wirkung über glutamatabhängige Wege im Hirnstoffwechsel“, erklärt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. „Es blockiert den sogenannten NMDA-Rezeptor im Gehirn, setzt dort vorübergehend mehr Glutamat frei und regt vermutlich auf diese Weise neuroplastische Effekte an: Bestimmte Verbindungen und Netzwerke im Gehirn, die aufgrund der Depression gestört wurden, erneuern sich beziehungsweise verknüpfen sich wieder.“ In Deutschland wird Esketamin als Nasenspray für die kurzfristige Notfallbehandlung schwerer Depressionen und die Behandlung therapieresistenter Depressionen eingesetzt.

Im Gegensatz zu Tabletten kann das Nasenspray sehr schnell wirken: Bei manchen Nutzern verbessern sich die Beschwerden unmittelbar nach Beginn der Esketamin-Therapie.

Studienlage vielversprechend

Eine im Herbst vergangenen Jahres im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte internationale Studie mit 700 Teilnehmern, die in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Frankfurt durchgeführt wurde, bestätigte, dass das Nasenspray zusammen mit anderen Medikamenten auch in besonders schweren Fällen wirken kann. Verglichen wurde zum einen die Kombination von Esketamin mit Serotonin beziehungsweise Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern, zum anderen die Gabe von beiden Medikamenten zusammen mit Quetiapin, einem Antipsychotikum. Letztere Kombination wird in der Nationalen Versorgungsleitlinie für unipolare Depressionen empfohlen.

Bei 27,1 Prozent der Patienten, die auch das Spray erhielten, bildete sich die Depression binnen acht Wochen zurück. In der anderen Studiengruppe lag die sogenannte Remission, also die Verbesserung der Krankheitssymptome, nur bei 17,6 Prozent. „In der Gruppe, die Esketamin-Nasenspray erhalten hat, waren in der achten Behandlungswoche 54 Prozent mehr Patientinnen und Patienten in Remission als in der Gruppe, die Quetiapin-Retardtabletten erhalten hat. Das ist für eine Gruppe mit einer behandlungsresistenten Depression, also schlechten Prognose, ein guter Wert“, erklärt Professor Andreas Reif, Erstautor der Publikation und Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt. „Auch bei der Rückfallquote, die wir nach sechs Monaten kontrolliert haben, konnten die mit Esketamin behandelten Patienten diesen Vorsprung gegenüber den mit Quetiapin behandelten Personen beibehalten.“

Kein Wundermittel, aber neue Hoffnung

Ist das Esketamin-Nasenspray ein Gamechanger, also die Lösung bei therapieresistenten Depressionen? „Für manche Patienten ist Esketamin tatsächlich ein Gamechanger, und als erster Wirkstoff mit einem neuen Wirkmechanismus leitet es eine neue Ära in der Depressionsbehandlung ein“, sagt Reif. „Aber es gibt immer noch etliche Patienten, denen Esketamin nicht hilft. Es ist also kein Wundermittel, aber eine neue Behandlungsoption, die wir Menschen mit schweren Depressionen anbieten können.“

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/so-wirksam-ist-esketamin-nasenspray-zur-behandlung-von-schweren-depressionen-110055143.html

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