Das Gedicht „Ach, die erste Liebe“ von Bulat Okudschawa, in der kongenialen Übersetzung von Wolf Biermann, erfährt durch die Aufnahme in die Frankfurter Anthologie eine erneute Würdigung. Wie Hans Christoph Buch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) vom 16.11.2024 berichtet, handelt es sich um eines der bekanntesten und eindrücklichsten Werke des russischen Liedermachers und Dichters. Der Text, der ursprünglich den Titel „Lied über mein Leben“ trägt, verknüpft auf eindringliche Weise die Themen Liebe, Krieg und Verrat und spiegelt darin die prägenden Erfahrungen Okudschawas wider.
Buch schildert in der F.A.Z. seine Begegnung mit Okudschawa im Herbst 1979 in Moskau. Im Rahmen einer Einladung des Moskauer Schriftstellerverbands besuchte er den Künstler in dessen Wohnung am Arbat. Dort, fernab der offiziellen sowjetischen Ikonographie, hing über Okudschawas Schreibtisch ein Foto von John F. Kennedy. Der Dichter erzählte von den Schwierigkeiten, die er in der Stalinzeit aufgrund seiner „Gitarrenlyrik“ hatte, und von den anhaltenden Anfeindungen, denen er auch nach der Tauwetter-Periode ausgesetzt war. So wurde beispielsweise in der „Literaturnaja Gazeta“ seine georgische Herkunft thematisiert und in Frage gestellt, warum er als Nicht-Russe einen Roman über die Narodniki geschrieben habe. Okudschawa sah darin ein Beispiel für den nachwirkenden nationalen Chauvinismus der Stalinzeit.
Die besondere Wirkung des Gedichts „Ach, die erste Liebe“ liegt laut Buch in der Verknüpfung von Liebe, Krieg und Verrat. Diese drei Aspekte des Lebens werden als untrennbar miteinander verbunden dargestellt, ähnlich wie in den großen russischen Romanen „Krieg und Frieden“ von Tolstoi oder „Doktor Schiwago“ von Pasternak. Die Intensität des Gedichts wird durch die eigene Biografie Okudschawas verstärkt: Sein Vater wurde 1937 als „Trotzkist“ hingerichtet, seine Mutter verbrachte 18 Jahre in Lagern, während er selbst als einziger seiner Einheit den Krieg überlebte.
Besonders hervorzuheben ist die Rolle der Übersetzung durch Wolf Biermann. Wie die F.A.Z. betont, hat Biermann das Gedicht „zur Kenntlichkeit entstellt“, indem er beispielsweise „Betrug“ mit „Verrat“ übersetzte. Dies wäre in der sowjetischen Zensur undenkbar gewesen. Die Übersetzung von Lyrik wird hier als eine beinahe unmögliche Aufgabe dargestellt, vergleichbar mit der Quadratur des Kreises. Trotz seiner fehlenden Russischkenntnisse hat Biermann bereits Werke wie „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz und Shakespeares Sonette übersetzt.
Die Aufnahme von Okudschawas Gedicht in die Frankfurter Anthologie unterstreicht die Bedeutung des Werks und bietet auch neuen Generationen die Möglichkeit, die Intensität und die historische Relevanz des Textes zu erfahren.
Ach, die erste Liebe
macht das Herz mächtig schwach
Und die zweite Liebe
weint der ersten nur nach
Doch die dritte Liebe
schnell den Koffer gepackt
schnell den Mantel gesackt
und das Herz splitternackt
Ach, der erste Krieg
da ist keiner schuld
Und beim zweiten Krieg
da hat einer Schuld
Doch der dritte Krieg
ist schon meine Schuld
ist ja meine Schuld
meine Mordsgeduld
Ach, der erste Verrat
kann aus Schwäche geschehn
Und der zweite Verrat
will schon Orden sehn
Doch beim dritten Verrat
musst du morden gehn
selber morden gehn
– und das ist geschehn
Ach die erste Liebe
macht das Herz mächtig schwach . . .
Aus dem Russischen von Wolf Biermann.
Quelle: F.A.Z. (Frankfurter Allgemeine Zeitung), 16.11.2024, "Bulat Okudschawa in der Frankfurter Anthologie", von Hans Christoph Buch. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/frankfurter-anthologie/bulat-okudschawa-in-der-frankfurter-anthologie-110114178.html