19.10.2024
Wolfsrisiken bedrohen Ostfrieslands Deichschafe und Küstenschutz

Ostfriesland-Jägerschaften schlagen Alarm: Wir haben ein Wolfsproblem

Die Jägerschaften im Bezirk Ostfriesland sehen den Küstenschutz durch territoriale Wölfe gefährdet. „Wir haben in Ostfriesland ein Wolfsproblem“, sagte Gernold Lengert der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ). Grund sei die hohe Zahl gerissener Schafe auf den Deichen, erklärte Lengert, der zugleich Vorsitzender der Jägerschaft Aurich e.V. und stellvertretender Bezirksvorsitzender der Ostfriesland-Jägerschaften ist.

Wolf auf Norderney gesichtet

Der Jäger geht davon aus, dass der auf Norderney gesichtete Wolfsrüde für Schafsrisse auf dem Festland verantwortlich ist. „Das ist ein und dasselbe Tier. Zumindest vermute ich das, wenn ich die Sichtungen und Risse mit den Strecken abgleiche, die ein Wolf in einer Nacht läuft“, sagte Lengert. „Offenbar bleibt er, verbringt mal einen Tag auf Norderney und treibt dann wieder eine Nacht auf dem Festland sein Unwesen.“

Zugleich bedrohe inzwischen eine zweistellige Zahl Wölfe Ostfrieslands Deichschafe. „Ich schätze, dass wir hier 16 bis 18 Wölfe haben. Und warum sollten die Rehe fangen, wenn Schafe auf dem Deich stehen? Wildtiere zu jagen, ist anstrengend und gefährlich. Die laufen weg; die Schafe können das nicht. Für den Wolf ist der Deich wie ein Imbiss.“

Gefährdung des Küstenschutzes

Die Wolfsrisse gefährden Lengert zufolge den Küstenschutz, weil Schafe für die Deichpflege unabdingbar seien. „Die Deiche müssen durch Schafe beweidet werden. Man kann sie mähen, aber nur Schafe verdichten die Deichkrume mit ihren kleinen Hufen so, dass das Wasser keinen Schaden anrichtet“, so Lengert und betonte: Die Sicherheit von gut einer Million Menschen hänge am Erhalt der 610 Kilometer Sturmflutdeiche und der rund 1000 Kilometer tideabhängiger Deiche an den Flussmündungen.

Die Zahl der gerissenen Schafe sei schon vor der Sichtung des Norderneyer Wolfs hoch gewesen, so Lengert. „Im Gebiet der zehn Küstenjägerschaften haben wir vom April 2023 bis zum April 2024 über 100 Vorfälle gezählt, 75 davon wurden sicher einem Wolf zugeordnet. 188 Nutztiere wurden getötet, 101 verletzt. Wir reden über ein enormes Tierleid. Und ich gehe von einer hohen Dunkelziffer aus. 70 bis 80 Prozent der Vorfälle werden gar nicht mehr gemeldet. Die Bauern tun sich das nicht an. Es heißt dann sowieso nur, dass sie nicht richtig gezäunt haben“, sagte Lengert.

Keine praktikablen Schutzmaßnahmen

Der Jäger betonte, dass sich Wolfszäune am Deich weder finanzieren noch auch nur aufstellen ließen. „Ein Deichschäfer beweidet mit seinen circa 700 Schafen rund acht Kilometer Deichlinie, mit all den Entwässerungsgräben, Wirtschaftswegen und, und, und. Wie soll er das einzäunen? Wie soll er den Zaun so tief eingraben, dass der Wolf sich nicht drunter durch buddelt? Und wie soll er die Seeseite wolfssicher zäunen, mit dem auflaufenden Wasser, das dagegen drückt? Dazu kommt der Wind: Nach den Stürmen liegen schon normale Schafszäune platt. Ein Wolfszaun ist am Deich nicht zu bezahlen. Das Aufstellen ist logistisch nicht einmal möglich.“

Abschuss keine Option

Einen Abschuss des „Insel-Wolfs“ hält der Jäger dennoch für keine Option. „Wir können und wollen auch gar nicht verhindern, dass an Ostfrieslands Küste auch mal ein Wolf langläuft. Gefährlich wird es erst, wenn diese Wölfe territorial werden.“ Zudem sähen auch die Jäger die Rückkehr des Wolfs nicht nur als Gefahr. „Er ist ein faszinierendes Tier und seine Rückkehr ist eine Bereicherung.“

Reaktionen und Forderungen der Jägerschaften

Die Jägerschaften zwischen Emden und Stade haben am Mittwoch die Plakataktion „Wolf und Küstenschutz“ vorgestellt. Ihre Forderung: Die Sicherheit von Deichen soll Priorität vor dem Wolfsschutz haben.

Die Banner zeigen zum Beispiel die Kadaver gerissener Schafe neben glücklichen Fahrradurlaubern. Mit der Plakataktion soll auf die sogenannte Auricher Erklärung hingewiesen werden, mit der die Kreisjägerschaften bereits Anfang April wolfsrudelfreie Zonen entlang der Küste gefordert hatten. Außerdem sollen Küstenschutz, Deichsicherheit und die Sicherheit der Deichschafe Vorrang vor dem Schutz von Wölfen haben. An der Aktion beteiligt sich neben den Jägern aus Niedersachsen auch die Landesjägerschaft Bremen.

Laut Bundesumweltministerin Lemke reichen die Gesetze zum Schutz vor Wölfen bereits aus. Wenn Wölfe gerissen haben, könne man schon jetzt in ganze Rudel schießen, bis der wirtschaftliche Schaden aufhöre, sagte sie im Deutschlandfunk. Den Jägern zufolge sieht die Praxis aber ganz anders aus. Festzustellen, welcher Wolf für den Riss verantwortlich ist, sei ein komplizierter Vorgang, so Gernold Lengert, der stellvertretende Vorsitzende der Jägerschaft Ostfriesland. „Die haben ja auch keine Nummernschilder. Die erkennen wir gar nicht.“

Schutzmaßnahmen wie etwa Zäune oder Herdenschutzhunde sind aus Sicht von Jägern und Deichschäfern an Deichen, die auch touristisch genutzt werden, nicht praktikabel. Die Deichschafe halten die Grasnarbe der Küstenschutzbauwerke kurz und treten mit ihren Hufen den Boden fest. In ihrem Positionspapier hatten die Jäger von den regionalen Bundes- und Landtagsabgeordneten daher unter anderem gefordert, sich an der Küste für die optimale Pflege der Deiche durch Schafe einzusetzen. „Über Generationen, wenn nicht gar Jahrhunderte, hatte die Deichsicherheit oberste Priorität an der Deutschen Nordseeküste“, so Simon Grootes, Vorsitzender der Jägerschaft Wittmund. „Diese Grundhaltung wird derzeit von Artenschutzzielen, hier speziell dem Wolfsschutz, in Frage gestellt.“

Erste Auricher Erklärung

Nach der ersten Auricher Erklärung gab es viele Bekenntnisse auf Landes- und Bundesebene zum Thema Wolf. Real passiert ist wenig bis nichts. Die Landesjägerschaft Niedersachsen e.V. (LJN), ihre zehn Küstenjägerschaften und die Landesjägerschaft Bremen e.V. haben daher eine zweite Auricher Erklärung aufgesetzt und ihre Forderungen verschärft.

Für Manfred Tannen, Präsident des LHV, hat das Thema Wolf eine ganz besondere Dimension. Seiner Meinung nach sei die aktuelle Wolfspolitik ein gutes Beispiel, an dem man die große Frustration erklären kann, wenn man auf die Politik schaut. Es beschreibe nicht nur die mangelnde Problemlösung, sondern auch, explizit die Spaltung zwischen Stadt und Land. Außerdem ist es Aufgabe als Verband, die Praxisauswirkungen deutlich zu machen: Deichsicherheit geht alle an, es gehe nicht nur um landwirtschaftliche Nutztiere. Alle Flächen liegen unter dem Meeresspiegel, daher ist man zwingend darauf angewiesen, dass die Deiche von den Schafherden gepflegt werden. Nur so bleibt die Grasnarbe trittfest und der Deich schützt vor Sturmfluten. Hier gibt es nicht nur gut 610 Kilometer Sturmflutdeiche, gut 1.000 Kilometer tideabhängige Deiche - da leben auch 1,8 Millionen Menschen mit Bremen und Umland. Das Thema ist immer noch eine Dauerschleife und man hat das Gefühl, dass man das immer von einer Legislatur in die nächste verschoben werden soll, um sein eigenes Wählerpotential auch nicht zu verschrecken.

Deichschäfer fühlen sich im Stich gelassen

Auch Oberdeichrichter Carl Noosten sieht die Problematik. Erst vor acht Tagen gab es vier Übergriffe durch den Wolf auf die Schafherden am Deich. Als Deichacht wurden bereits mehre Anträge auf Entnahme gestellt beim Landkreis Aurich - und wartet jetzt seit neun Monaten auf eine Antwort. Bei einem System, wo die Entnahme innerhalb von 22 Tagen erfolgen muss. Das gibt einem das Gefühl der Ohnmacht. Dazu muss man ja kein Wolfsgegner sein, aber man will diese Art der Tierhaltung bewahren. Mittlerweile bezweifelt er, dass es jemals eine Koexistenz zwischen Wolf und Weidetierhaltung geben kann.

Die Jägerschaften haben das das Thema Wolf schon länger im Fokus. Letztes wurde Jahr Aurich eins auf den Weg gebracht, aber da nichts passiert ist, nochmal nachgelegt. Weil jetzt genau auf Norderney und an der Küste genau das eintritt, wovor wir schon lange gewarnt haben. Wieso setzen sich die Jäger für die Belange der Landwirte ein? Antwort: Weil wir wissen, dass die Zahnräder ineinandergreifen: Ohne Weidetierhaltung, ohne Landwirtschaft können wir die Jagd vergessen. Hier ist Niederwild, mit teilweise starkem Dammwildvorkommen, starkem Rehwildvorkommen und auch Wildschweinen. Aber wir wissen auch, der Wolf verändert Biotope.

Regulation des Bestandes

Neben den ganzen es gibt eine Wissenschaft, die ist unschlagbar: die Mathematik. Und die sagt ganz klar: In drei Jahren ist die Population explodiert, dann hat die sich verdoppelt – und das fangen wir nicht mehr ein. Jetzt muss gehandelt werden.

Weitere
Artikel