19.10.2024
Russland und die FIDE: Schach als Spiegel der Macht

Russland und der Schachweltverband FIDE: Instrument der Imagepflege

Der Schachweltverband FIDE, der in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen feiert, hat eine lange und komplexe Geschichte, die eng mit der politischen und kulturellen Entwicklung Russlands verbunden ist. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielt Russland eine zentrale Rolle im internationalen Schach. Die Dominanz russischer Funktionäre innerhalb der FIDE ist ein Beispiel dafür, wie Schach als strategisches Instrument zur Imagepflege genutzt wurde.

Die Gründung der FIDE und die Rolle der Sowjetunion

Die FIDE wurde am 20. Juli 1924 in Paris gegründet, jedoch war die Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt noch nicht Teil des Schachverbandes. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Sowjetunion sich als Supermacht etablierte, änderte sich dies. Der sowjetische Schachverband war der erste, der Schach nicht nur als kulturelles oder bildungspolitisches Gut, sondern als ernsthaften Sport betrachtete. Diese Neuausrichtung führte dazu, dass die Sowjetunion in den folgenden Jahrzehnten eine Vielzahl von Schachspielern hervorbrachte, die auf internationaler Ebene dominierten.

Die sowjetischen Meister, so wie Michail Botwinnik und Anatoli Karpow, wurden zu Symbolen der Überlegenheit des kommunistischen Systems. Die Schdanow-Doktrin, die in der späten Stalin-Ära formuliert wurde, unterstrich die Bedeutung des Schachs als Werkzeug der politischen Propaganda. Schach wurde als Möglichkeit gesehen, die Überlegenheit des sowjetischen Lebensstils und der Ideologie gegenüber dem Westen zu demonstrieren.

Eintritt der Sowjetunion in die FIDE

1947 trat die Sowjetunion der FIDE bei. Mit dem Tod des Weltmeisters Alexander Aljechin fiel die Kontrolle über die Titelvergabe an die FIDE. 1948 fand die erste Weltmeisterschaft unter FIDE-Ägide statt, und drei der vier Kandidaten stammten aus der Sowjetunion. Botwinnik gewann und setzte damit den Grundstein für die sowjetische Dominanz in der Schachwelt.

In den folgenden Jahrzehnten war die Sowjetunion bei den Schacholympiaden nahezu unbesiegbar. Bis zur Auflösung des Landes im Jahr 1991 verlor das sowjetische Team nur einmal, im Jahr 1978. Diese Erfolge trugen dazu bei, das Bild der Sowjetunion als sportliche Supermacht zu festigen.

Der Einfluss von Florencio Campomanes

Mit der Dekolonisierung in den 1960er Jahren bot sich der FIDE die Möglichkeit, die Kontrolle zu erweitern. Florencio Campomanes, ein philippinischer Politologe, spielte eine entscheidende Rolle dabei, Schachverbände in vielen neuen unabhängigen Ländern zu etablieren. Diese Verbände wurden oft von Funktionären geleitet, die Campomanes treu ergeben waren. Dadurch konnte Campomanes die Stimmen aus Asien, Afrika und Lateinamerika für sich gewinnen und schließlich die Präsidentschaft der FIDE übernehmen.

Die Ära Kirsan Iljumschinow

Nach Campomanes' Rücktritt im Jahr 1995 übernahm der russische Provinzoligarch Kirsan Iljumschinow das Amt des FIDE-Präsidenten. Iljumschinow leitete eine Phase ein, die von einem erhöhten internationalen Ansehen des Schachs geprägt war. Sein größter Erfolg war die Anerkennung der FIDE durch das Internationale Olympische Komitee im Jahr 1999, was dem Schach in vielen Ländern den Status eines Sports verlieh und den Zugang zu staatlichen Subventionen erleichterte.

Unter Iljumschinows Führung wurde das Schach auch auf eine Weise politisch instrumentalisiert, die sowohl dem Ansehen der FIDE als auch der russischen Außenpolitik diente. Iljumschinow pflegte Kontakte zu verschiedenen Diktatoren, was zwar dem Ansehen der FIDE schadete, aber informell den Interessen Russlands diente.

Arkadi Dworkowitsch und die gegenwärtige Situation

Im Jahr 2018 übernahm Arkadi Dworkowitsch, ein ehemaliger Berater von Wladimir Putin, die Präsidentschaft der FIDE. Unter seiner Führung hat sich die FIDE weiterhin als einflussreiche Organisation im internationalen Schachsport positioniert. Es ist jedoch zu beobachten, dass Dworkowitsch und andere russische Funktionäre zunehmend in der internationalen Gemeinschaft unter Druck geraten. In einigen Ländern erhält der FIDE-Präsident aufgrund seiner Verbindungen zur russischen Regierung kein Visum mehr.

Dennoch dürfen russische Spieler weiterhin an FIDE-Wettbewerben teilnehmen, auch wenn ihre nationalen Symbole und Teams vorübergehend ausgeschlossen sind. Dies zeigt die ambivalente Rolle, die Russland innerhalb der internationalen Schachgemeinschaft weiterhin spielt.

Fazit

Die Geschichte von Russland und der FIDE ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Schach als Instrument der Imagepflege genutzt werden kann. Seit der Gründung der FIDE hat Russland seine Dominanz im Schach ausgebaut und das Spiel als Mittel zur Stärkung seines internationalen Ansehens verwendet. Die Verflechtungen zwischen Schach und Politik sind komplex und vielschichtig, und sie beeinflussen weiterhin die Wahrnehmung von Schach als Sport und kulturellem Gut auf der ganzen Welt.

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