19.10.2024
Teilzeitarbeit versus Vollzeitfalle: Wann sich Mehrarbeit in Deutschland nicht rechnet
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine Herausforderung, mit der sich insbesondere Frauen auseinandersetzen müssen. Viele entscheiden sich für eine Teilzeitarbeit, um beiden Lebensbereichen gerecht zu werden. Doch die finanziellen Einbußen, die mit dieser Entscheidung einhergehen, können beträchtlich sein. Eine Rückkehr in die Vollzeitarbeit erscheint als logischer Schritt, um das Familieneinkommen zu erhöhen. Doch laut Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, lohnt sich dieser Schritt für viele Arbeitnehmer in Deutschland oft nicht. Fuest macht darauf aufmerksam, dass Mehrarbeit für viele Menschen kaum rentabel ist. Dies betrifft nicht nur Empfänger von staatlichen Leistungen wie das Bürgergeld, sondern auch diejenigen mit kleineren und mittleren Einkommen. Gerade für Familien in Städten mit hohem Mietniveau kann der Sprung von einem Teilzeit- zu einem Vollzeitgehalt aufgrund von Steuern, Sozialabgaben und dem Wegfall von Sozialtransfers wie dem Wohngeld oder dem Kinderzuschlag wenig attraktiv sein. Ein konkretes Beispiel, das Fuest anführt, verdeutlicht die Problematik: Eine Familie mit zwei Kindern in einer Stadt wie München, die von einem Bruttoeinkommen von 3000 Euro auf 5000 Euro durch Mehrarbeit springt, sieht sich mit zusätzlichen Steuern und Sozialabgaben konfrontiert. Zugleich fallen die bisherigen Sozialtransfers weg. Am Ende des Monats bleibt von den zusätzlichen 2000 Euro Bruttoeinkommen nur eine marginale Summe von 32 Euro übrig. Dieses Szenario zeigt deutlich, wie gering der finanzielle Anreiz für eine Rückkehr in die Vollzeitarbeit sein kann. Der ifo-Chef fordert daher politische Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass sich Mehrarbeit lohnt und dass Arbeitnehmer einen größeren Teil ihres Einkommens behalten können. Er betont, dass dies zwar eine komplexe Aufgabe sei, aber durchaus lösbar. Stärkere Anreize zum Wechsel von Teilzeit in Vollzeit könnten einen wichtigen Beitrag leisten, um die Wirtschaftsleistung zu steigern und dadurch auch positive Effekte für Steuereinnahmen und die sozialen Sicherungssysteme zu erzielen. Für den Einzelnen mag die Teilzeitarbeit verständlich und oft die einzige Möglichkeit sein, Berufs- und Privatleben zu vereinbaren. Doch aus volkswirtschaftlicher Perspektive bedeutet dies eine geringere Produktion von Gütern und Dienstleistungen und somit auch eine Schwächung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die Rückkehr aus Teilzeit in Vollzeit sollte daher nicht nur individuell, sondern auch gesamtgesellschaftlich betrachtet und gefördert werden. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung für oder gegen eine Vollzeittätigkeit von zahlreichen Faktoren abhängt, darunter die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen, die Flexibilität der Arbeitszeiten und die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz. Auch die Anerkennung der Teilzeitarbeit als vollwertige Berufstätigkeit spielt eine Rolle bei der Entscheidungsfindung. Die Thematik der Teilzeitarbeit und der finanziellen Anreize für eine Rückkehr in Vollzeitarbeit ist von großer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft. Es geht um die Frage, wie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitsplatzsicherheit, fairem Einkommen und sozialer Gerechtigkeit geschaffen werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, sind sowohl politische Weichenstellungen als auch ein Umdenken in der Arbeitskultur notwendig.
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