19.10.2024
Belarus am Scheideweg Politische Kultur im Wandel bei wegweisenden Wahlen
In Belarus haben die Parlaments- und Kommunalwahlen begonnen, die einen Wendepunkt in der politischen Kultur des Landes markieren könnten. Die Wahlen sind die ersten ihrer Art seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Jahr 2020, die zu Massenprotesten und einer landesweiten politischen Krise führte. Dieses Mal finden die Wahlen in einem stark veränderten politischen Umfeld statt, in dem die Opposition nahezu abwesend ist und viele ihrer führenden Köpfe entweder inhaftiert oder ins Exil gezwungen wurden. Die belarussische Zivilgesellschaft ist seit den Protesten von 2020 erheblichen Repressionen ausgesetzt. NGOs wurden aufgelöst und Aktivisten verhaftet. Die Anzahl der politischen Gefangenen, die von der Menschenrechtsorganisation Viasna dokumentiert wurden, ist auf 1421 gestiegen. Zu den Inhaftierten gehören prominente Oppositionsfiguren wie der Friedensnobelpreisträger Ales Bialiatski, die Präsidentschaftskandidatin Sviatlana Tsikhanouskaya, die im Exil lebt, sowie weitere bekannte Persönlichkeiten der Oppositionsbewegung. Die Behörden haben umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen vor den Wahlen ergriffen, was sowohl auf die Angst vor Unruhen als auch auf das Bestreben hinweist, jegliche Formen des öffentlichen Dissenses zu unterdrücken. Wahllokale sind unter strenger Beobachtung, und die Namen der Mitglieder von Wahlkommissionen werden geheim gehalten. Zudem wurde unabhängigen Wahlbeobachtern, insbesondere von der OSZE, die Teilnahme an der Wahl verwehrt. Der amtierende Präsident Alyaksandr Lukaschenka, der das Land seit 1994 regiert, hat die Vorbereitungen auf die Wahlen als Generalprobe für seine Wiederwahl im Jahr 2025 bezeichnet. Sein Regime ist auf die Sicherheitsdienste angewiesen, die eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung seiner Macht spielen. Die Anzahl der Kandidaten für die Parlamentswahlen ist im Vergleich zu früheren Wahlen gesunken, und die meisten von ihnen wurden von staatlichen Behörden und Lokalräten nominiert, was die Kontrolle der Regierung über den Wahlprozess weiter verstärkt. Die Wahlen sind auch eine Demonstration der Loyalität der zivilen Machtstrukturen gegenüber dem Regime. In Tausenden von Wahllokalen haben die Wahlkommissionen ihre Treue zu beweisen. In einem Land, das geopolitisch durch den Krieg in der Ukraine und die zunehmende Abhängigkeit von Russland beeinflusst wird, ist die politische Zukunft alles andere als sicher. Die demokratischen Kräfte rund um Tsikhanouskaya rufen zum Boykott der Wahlen auf und erkennen die Wahlergebnisse nicht an. Sie werfen der Regierung vor, keine echte Wahl zu ermöglichen und die politische Zukunft des Landes zu gefährden. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere der Westen, wird aufgefordert, sich für die politischen Gefangenen in Belarus einzusetzen und eine freie und faire Wahl zu unterstützen. Angesichts des Todes von Aleksej Nawalny im russischen Gefängnis und der zunehmenden Repressionen gegen die Opposition in Belarus wird die Reaktion des Westens auf die Wahlen und die politische Situation im Land genau beobachtet. Die Wahlen in Belarus sind somit nicht nur ein lokales Ereignis, sondern haben auch eine internationale Dimension, die die politische Landschaft in Osteuropa und darüber hinaus beeinflussen könnte.
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