Die Frage nach dem möglichen Untergang des Westens, analog zum Römischen Reich, beschäftigt seit jeher Historiker und Denker. Das neue Buch „Stürzende Imperien“ von Peter Heather und John Rapley, wie Andreas Kilb in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (31.10.2024) berichtet, greift diese Frage erneut auf und vergleicht die aktuelle Situation des Westens mit dem späten Römischen Reich.
Das Interesse am Römischen Reich ist, wie Kilb feststellt, weit verbreitet, insbesondere unter Männern. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der Faszination für militärische Stärke bis hin zur Auseinandersetzung mit den Ursachen für den Untergang eines einst mächtigen Imperiums. Gerade der Untergang Roms dient dabei als warnendes Beispiel und Projektionsfläche für gegenwärtige Ängste.
Heather, ein renommierter Historiker, und Rapley, Experte für globale Wirtschaftsgeschichte, sehen laut Kilb Parallelen zwischen dem Römischen Reich am Ende des 4. Jahrhunderts und der heutigen Situation des Westens. Sie argumentieren, dass der Westen, ähnlich wie Rom, kurz vor dem Fall stehe. Die Autoren fragen sich, wie dieser Fall sozialverträglich gestaltet werden kann.
Kilb kritisiert jedoch den von Heather und Rapley gezogenen Vergleich. Er bemängelt die vereinfachte Darstellung des "Westens" als homogen agierenden Block und die Vernachlässigung wichtiger Faktoren wie der Rolle Chinas. Der Vergleich basiere lediglich auf der strukturellen Ähnlichkeit, dass Großreiche Kräfte vom Zentrum an die Peripherie verlagern und Handelsnetzwerke über ihre Grenzen hinaus knüpfen.
Rom habe, so die Argumentation von Heather und Rapley, seine Provinzen durch Handel und militärische Präsenz gestärkt, während die barbarischen Eliten jenseits der Grenzen mit Luxusgütern versorgt und als Hilfstruppen in die römischen Heere integriert wurden. Der Einfall der Hunnen habe dann als "exogener Schock" zum Zusammenbruch des weströmischen Reiches geführt.
Ähnlich habe der Westen im 20. Jahrhundert seine Industrieproduktion in Schwellenländer verlagert, was zu einer Stagnation im Zentrum und einem Aufschwung in der Peripherie geführt habe. Heather und Rapley sehen darin eine Parallele zum Untergang Roms, auch wenn dieser Prozess im 20. Jahrhundert unblutig und rein ökonomisch verlief. Kilb merkt jedoch an, dass ein vergleichbarer "exogener Schock" im Fall des Westens fehle. Ereignisse wie die Finanzkrise oder der Ukrainekrieg seien nicht mit dem Hunneneinfall vergleichbar.
Auch die Argumentation der Autoren zu den Folgen der Migration wird von Kilb kritisiert. Die Migration stamme nicht, wie im Fall Roms, aus der Peripherie, sondern aus den ökonomisch abgehängten Randzonen der Globalisierung. Das Konfliktpotenzial religiöser Fundamentalismen werde zudem nicht berücksichtigt. Auch die Darstellung Chinas als militärischer Riese sei kontrafaktisch.
Ähnliche Themen werden auch in anderen Artikeln behandelt. So warnt der Politökonom John Rapley im Spiegel (10.10.2024) vor einem Bedeutungsverlust der USA und Europas, analog zum Römischen Reich. Er sieht Parallelen in Staatsverschuldung, Massenmigration und gesellschaftlicher Spaltung. Auch Thomas Mayer zieht in Cicero (28.10.2023) Vergleiche zwischen dem Römischen Reich und der heutigen Situation Europas. Er sieht die Herausforderungen in geopolitischen Machtverschiebungen, Migrationswellen und zerrütteten Staatsfinanzen.
Die Süddeutsche Zeitung (02.09.2024) berichtet ebenfalls über das Buch von Heather und Rapley und die darin gezogenen historischen Parallelen. Der Artikel betont die Faszination für Untergangsszenarien und die Angst vor einem möglichen Ende des Westens.
Quellen: