23.10.2024
Wissenschaft und Politik: Ein Spannungsfeld zwischen Wahrheitssuche und Machtanspruch

„Sie haben keinen Wahrheitsanspruch!“ Diese Worte schleuderte die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ria Schröder, den Vertretern der Opposition in der 81. Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 10. September dieses Jahres entgegen, als diese vehement Aufklärung der sogenannten „Fördergeldaffäre“ forderten. Es war wohl kaum ihre Absicht, aber damit hat Ria Schröder den Umgang der Bundesregierung mit dieser Affäre auf den Punkt gebracht, wie Sabine Döring in einem Gastbeitrag für die FAZ schreibt.

Was aber war gemeint? Wollte Ria Schröder etwa transparentem Regierungshandeln und parlamentarischer Kontrolle durch den Ausschuss eine generelle Absage erteilen? Das mag man sich ebenso wenig vorstellen wie die mögliche andere Intention, nämlich die Wahrheitsorientierung der Politik als solche zu leugnen.

Abhängigkeit und Unabhängigkeit

Unabhängig davon, was Ria Schröder im Sinn hatte, ist für das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik insbesondere die zweite Lesart bedeutsam, zumal die Verpflichtung der Politik auf die Wahrheit und der Respekt vor wissenschaftlicher Expertise auch hierzulande allmählich zu erodieren scheinen. Zwar ist Politik anders als Wissenschaft nicht durch ihre Wahrheitsorientierung konstituiert. Aber eine Politik ohne Wahrheitsorientierung wäre die von der einstigen Trump-Beraterin Kellyanne Conway ausgerufene Politik der „alternativen Fakten“, eine Politik des „Bullshit“ (Harry G. Frankfurt), eine Politik der „Propaganda“ (Jason Stanley).

Wie aber soll Politik sich zur Wissenschaft verhalten? Wissenschaft ist die zur Methode gewordene Erzeugung von Wissen. Sie widmet sich systematisch der Frage, wie Wissen bestmöglich zu gewinnen sei – und dann mithilfe der so etablierten Methoden der Gewinnung von Wissen selbst. Die jeweils zur Anwendung kommenden Methoden unterscheiden sich nach Forschungsgegenstand beziehungsweise Fachgebiet und unterliegen der ständigen Revision und Weiterentwicklung. Die methodischen Standards seines Fachgebietes zu beherrschen und den Stand der Forschung zu kennen zeichnet den Wissenschaftler als Experten gegenüber dem Laien aus. Prüfungen und Kommissionen sollen den Expertenstatus nachweisen und neben ihrer Funktion für die wissenschaftliche Laufbahn damit eine gewisse Verlässlichkeit für die außerwissenschaftliche Welt herstellen. Ein erfolgreicher epistemischer Diskurs ist nicht vorstellbar, wenn (wie beim freien Austausch politischer Meinungen) jedes Mal alle Stimmen dasselbe Gewicht haben. Der breiten Öffentlichkeit fehlt oft das Mindestmaß an Expertise, um überhaupt beurteilen zu können, wer Experte ist und wer nicht.

Unwahrheiten ohne Täuschungsabsicht

Worin aber besteht eigentlich der Wert des Wissens? Schon Aristoteles stellt in seiner „Metaphysik“ fest, dass „alle Menschen von Natur aus nach Wissen streben“. Daraus folgt zwar nicht, dass Wissen erstrebenswert ist. Aber in aller Regel ist Wissen besser als Nicht-Wissen, insofern man wissend mehr erreichen kann als unwissend. Dies ist auch die Botschaft von Francis Bacons berühmten Diktum „Ipsa scientia potestas est“ („Wissen ist Macht“). Wissen ist nützlich und hat damit mindestens einen instrumentellen Wert.

Es lässt sich aber auch die anspruchsvollere These vertreten, dass für kognitive Wesen wie uns Wissen und Wahrheit intrinsische Werte darstellen. Der intrinsische Wert von Wissen und Wahrheit lässt sich in Analogie zum intrinsischen Wert von Schönheit, Freundschaft oder Liebe bestimmen. So wie ein Leben ohne Schönheit, Freundschaft oder Liebe als weniger lebenswert erscheint, so erscheint uns auch ein Leben in Unwissenheit und Lüge als defizitär. Anders gesagt: Zu einem guten menschlichen Leben gehört nicht nur das Streben nach dem Nützlichen, sondern auch das Streben nach Erkenntnis, nach Wahrheit. Der Philosoph Philipp Hübl hat in seinem Buch "Bullshit-Resistenz" vier Kategorien von Unwahrheiten definiert:

  • Lügen: bewusste Falschbehauptungen mit Täuschungsabsicht
  • Irrtümer: falsche Aussagen, die nicht auf einer Täuschungsabsicht basieren
  • Bullshit: Äußerungen ohne Rücksicht auf ihre Wahrheit oder Falschheit
  • Fake News: erfundenes Material, das sich als Nachrichtenartikel tarnt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen

Im politischen Diskurs, insbesondere in den sozialen Medien, finden sich häufig Bullshit und Fake News. Der Philosoph Harry Frankfurt beschrieb Bullshit bereits 1986 als eine Äußerung ohne Rücksicht auf ihre Wahrheit. Bullshit ist deshalb so gefährlich, weil er die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge verwischt. Fake News hingegen sind bewusste Falschmeldungen, die sich oft viraler Mechanismen bedienen, um möglichst große Reichweite zu erzielen. Sowohl Bullshit als auch Fake News stellen eine Bedrohung für die Demokratie dar, weil sie die Fundamente einer informierten und rationalen Entscheidungsfindung untergraben.

Wie kann man sich gegen Bullshit und Fake News wappnen? Bildung und Medienkompetenz spielen eine wichtige Rolle. Es ist wichtig, Quellen kritisch zu hinterfragen, Fakten zu überprüfen und sich nicht von emotionalisierenden Inhalten leiten zu lassen. Auch die Medien tragen eine große Verantwortung, indem sie sorgfältig recherchieren und ausgewogen berichten. Nur wenn wir alle unseren Teil dazu beitragen, können wir sicherstellen, dass Wahrheit und Fakten in unserer Gesellschaft weiterhin Gehör finden.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/wissen/forschung-politik/sabine-doering-zum-verhaeltnis-von-wissenschaft-und-politik-110061476.html
  • https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/wissenschaftsfreiheit-2021/343220/wissenschaftsfreiheit-normative-grundlagen-und-aktuelle-herausforderungen/
  • https://praefaktisch.de/wissenschaftsfreiheit/wissenschaftsfreiheit-in-der-demokratie-oder-wozu-ist-das-gut-der-wissenschaftsfreiheit-gut/
  • https://www.youtube.com/watch?v=nvVKK5W3bBI
  • https://www.lehmanns.de/shop/geisteswissenschaften/65557424-9783518778784-wissenschaftsfreiheit-und-moral
  • https://www.academia.edu/102678059/Wissenschaftsfreiheit_im_Konflikt
  • https://www.furche.at/gesellschaft-bildung/wissenschaftsfreiheit-warum-wir-anders-denken-muessen-4799885
  • https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/diskurskultur-2023/541848/wissenschaftliche-diskurskultur-zwischen-freiheit-und-politisierung/
  • https://www.romyjaster.com/forschung/
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