14.11.2024
Zwangsheirat in den Ferien Prävention und Fluchtmöglichkeiten

Heiratsverschleppung: Ein Löffel als letzter Ausweg?

Für manche junge Frauen in Deutschland können die Sommerferien ein Albtraum bedeuten. Statt Erholung und Freizeit droht die Verschleppung ins Ausland und die Zwangsverheiratung. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 14.11.2024 berichtete, verschwinden manche Schülerinnen nach den Ferien spurlos. Sie werden entweder bereits in Deutschland zur Ehe gezwungen oder unter einem Vorwand ins Ausland gelockt, wo ihnen dann die Ausweispapiere abgenommen werden. Die Zukunft dieser Mädchen ist vorgezeichnet: ein Leben als Ehefrau und Mutter, bestimmt durch die Entscheidungen ihrer Familie, ohne eigene Wahlmöglichkeiten in Bezug auf Partner, Bildung oder Beruf.

Das Ausmaß des Problems ist schwer zu erfassen. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, da viele Fälle nicht angezeigt werden. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2008, auf die die FAZ verweist, ergab 3443 Beratungsgespräche zum Thema Zwangsheirat. Die Mehrheit der Betroffenen waren Frauen mit Migrationshintergrund. Die Ferien, besonders die langen Sommerferien, stellen eine besondere Gefahrenzeit dar. Die Abwesenheit der Schülerinnen fällt zunächst nicht auf, da Reisen ins Ausland üblich sind.

Die Rückreise nach Deutschland gestaltet sich oft äußerst schwierig. Sobald die Frauen im Ausland sind, sind die Möglichkeiten der deutschen Justiz begrenzt. Hilfsorganisationen und das Familienministerium betonen, wie die FAZ berichtet, dass die Rückreise ohne Dokumente, Geld und unter ständiger Kontrolle der Familie sowohl rechtlich als auch praktisch nahezu unmöglich ist. In den meisten Fällen müssen die betroffenen Frauen ihre Ausbildung abbrechen.

Der Flughafen kann die letzte Chance zur Flucht bieten. In den sozialen Medien kursiert unter dem Hashtag „Löffeltrick“ die Empfehlung, sich bei der Ausreise einen Löffel in die Unterhose zu stecken, um bei der Sicherheitskontrolle einen Alarm auszulösen. Dies soll die Möglichkeit schaffen, vom Sicherheitspersonal unbeobachtet von der Familie auf die Situation aufmerksam zu machen. Ein Sprecher der Bundespolizei bestätigte gegenüber der FAZ, dass das Flughafenpersonal für diese Methode sensibilisiert sei.

Elisabeth Gernhardt von Terre des Femmes, zitiert in der FAZ, bezeichnet den Löffeltrick als „guten Trick“, betont aber, dass dessen Erfolg von verschiedenen Faktoren abhängt. Viel wichtiger sei es, sich frühzeitig Hilfe zu suchen. Auch die britische Organisation Karma Nirvana empfiehlt diese Methode, wie Euronews am 01.06.2018 berichtete, jedoch nur als letzten Ausweg. Ähnlich äußert sich Mona Siegbert von der Berliner Hilfsorganisation Papatya, die laut FAZ betont, dass eine Flucht am Flughafen nicht immer gelingt.

Die Hilfsorganisationen sind sich einig, dass die Betroffenen sich der Bedeutung des Flughafens als potenzielle Anlaufstelle bewusst sein müssen. Auch ohne Löffel kann die Bundespolizei oder das Flugpersonal um Hilfe gebeten werden. Entscheidend ist, genügend Mut und Entschlossenheit aufzubringen, um die Situation selbst in die Hand zu nehmen – eine schwierige Aufgabe, besonders für Mädchen aus patriarchalischen Familien, die selten zur Selbstständigkeit erzogen werden. Der Hilferuf am Flughafen bedeutet meist die Trennung von der Familie, möglicherweise sogar den endgültigen Bruch.

Im Idealfall sollten sich Betroffene bereits vor der Ausreise an Beratungsstellen wenden, wie das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser oder Papatya. Auch anonyme Beratung ist möglich. Die Schule spielt eine wichtige Rolle in der Präventionsarbeit, da sie oft der einzige Ort ist, an dem die Mädchen nicht unter ständiger Kontrolle der Familie stehen. Warnzeichen für eine drohende Heiratsverschleppung können laut Elisabeth Gernhardt in der FAZ sein, wenn eine Schülerin immer direkt von der Schule abgeholt wird, nicht an Klassenfahrten teilnimmt und sich außerhalb der Schule nicht mit Freunden trifft. Auch die Ankündigung einer längeren Reise zu Verwandten ins Ausland kann ein Hinweis sein.

Mona Siegbert von Papatya weist darauf hin, dass das Risiko einer Verschleppung besonders dann steigt, wenn die Mädchen Kontakt zur Jugendhilfe aufnehmen oder eine unerwünschte Liebesbeziehung führen. Sowohl Terre des Femmes als auch Papatya raten dringend davon ab, ohne vorherige Beratung eigenmächtig ein klärendes Gespräch mit der Familie zu suchen, da dies die Situation eskalieren lassen könnte.

Zwangsheiraten im Ausland finden oft ohne Vorwarnung oder unter einem Vorwand, wie einem Familienfest, statt, so Siegbert von Papatya gegenüber der FAZ. Die Betroffenen sind meist nicht in die Entscheidung eingebunden und wissen oft nicht, ob eine Rückreise geplant ist. Viele fühlen sich ihrer Familie verpflichtet. Elisabeth Gernhardt von Terre des Femmes betont den psychischen Druck, dem die Mädchen ausgesetzt sind, und die Schwierigkeit, sich der Familie zu widersetzen, besonders wenn psychische oder physische Gewalt droht.

Papatya gibt Tipps für Betroffene, wie die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr erhöht werden kann, beispielsweise durch rechtliche Vorbereitungen wie das Erteilen einer Vollmacht oder praktische Maßnahmen wie das Mitführen von eigenem Geld, einer Passkopie oder einem geheimen Prepaid-Handy. Trotzdem rät Papatya dringend, die Ausreise gut zu überlegen und sich im Zweifel dagegen zu entscheiden.

Quellen:

Weitere
Artikel