Am Mittwoch, den 31. Juli 2024, beschäftigt sich der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig mit einem möglicherweise letzten Strafverfahren zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Massenmorde. Der 5. Strafsenat wird über die Revision gegen die Verurteilung einer ehemaligen Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof, Irmgard F., verhandeln. Die 99-Jährige wurde im Dezember 2022 vom Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
Irmgard F. arbeitete von 1943 bis 1945 als Schreibkraft in der Kommandantur des KZ Stutthof, das in der Nähe von Danzig lag. Ihr wird vorgeworfen, durch ihre administrative Tätigkeit die systematische Tötung von Gefangenen unterstützt zu haben. Laut dem Urteil des Landgerichts Itzehoe sei ihre Arbeit für die Organisation und Durchführung der Tötungen von Gefangenen notwendig gewesen.
Die Revision wurde von den Verteidigern von Irmgard F. eingelegt, die argumentieren, dass wesentliche rechtliche Fragestellungen nicht ausreichend geklärt wurden. Ein zentraler Punkt der Verhandlung wird die Frage sein, ob eine Zivilangestellte wie F. für ihre Rolle in einem Konzentrationslager, das nicht ausschließlich als Vernichtungslager fungierte, bestraft werden kann. Der BGH hat in dieser Konstellation bislang noch nicht entschieden.
Die Revisionsverhandlung wird voraussichtlich Aufschluss über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Verurteilung geben. Der Anwalt von Irmgard F., Wolf Molkentin, äußerte, dass die Beweise, die im Itzehoer Verfahren vorgelegt wurden, möglicherweise nicht ausreichen, um einen Schuldspruch zu rechtfertigen. Ein weiteres Thema ist die Beweislast: Hat Irmgard F. die Mordtaten ihres Vorgesetzten willentlich unterstützt, oder war sie lediglich eine Schreibkraft ohne Einfluss auf die Entscheidungen im Lager?
Die Erwartungen an das Urteil des BGH sind hoch. Alle Beteiligten, einschließlich der Nebenklagevertreter, hoffen auf eine Klärung der rechtlichen Fragen, die in der ersten Instanz nicht ausreichend behandelt wurden. Es könnte auch sein, dass der BGH das Verfahren an das Landgericht Itzehoe zurückverweist, um weitere Beweise zu erheben oder spezifische rechtliche Fragen zu klären.
Der Prozess gegen Irmgard F. ist nicht nur ein juristisches Verfahren, sondern auch ein historisches Ereignis, das die gesellschaftliche Aufarbeitung der Gräueltaten des Nationalsozialismus widerspiegelt. In den letzten Jahren gab es mehrere Prozesse gegen ehemalige KZ-Mitarbeiter, doch der Fall F. hat aufgrund ihres Alters und der Umstände eine besondere Aufmerksamkeit erhalten.
Der Prozess gegen Irmgard F. wird als einer der letzten großen NS-Prozesse in Deutschland angesehen. Der Bundesgerichtshof wird in den kommenden Wochen eine Entscheidung treffen, die möglicherweise richtungsweisend für die rechtliche Bewertung von Beihilfe zum Mord in Konzentrationslagern sein könnte. Die gesellschaftliche und rechtliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bleibt damit auch in der Gegenwart von großer Bedeutung.