24.10.2024
Eileen Grays E1027 Ein Haus am Meer und ein architektonischer Konflikt

Sie ist verzweifelt und enttäuscht. Ihr filigranes, transparentes Wohnhaus, das wie ein Schiff am Hang mit Blick auf Monaco liegt – verunstaltet mit mächtigen, kraftvoll bunten Wandgemälden, die ihrer eigenen Kunst die Ausstrahlung rauben. Sie fast körperlich bedrängen. Eileen Gray kennt den Missetäter: Es ist Le Corbusier. Für sie ist es ein „Akt der Gewalt“ und „Vandalismus“. Sie will die Malereien aus ihrem Werk verbannen. Wie die FAZ berichtet, sorgte der Streit zwischen Eileen Gray und ihrem Kollegen Le Corbusier für viel Unmut und führte sogar zu einer Legende mit falschen Urheberzuweisungen.

Vergebens, denn Le Corbusiers Macht ist groß. Er sieht seine Kunstwerke als Geschenke für einen, wie er sagt „weißen, langweiligen Kubus am Meer“. Mit allem Ego übernimmt er das Ruder, sodass Eileen Gray ihr Haus, das sie von 1926 bis 1929 für sich und Jean Badovici, einen rumänischen Architekten und Herausgeber einer Avantgarde-Zeitschrift, baut, nie mehr betreten wird.

Eine emotionale, lebendige Architektur muss her

Das Dokufiktionsdrama „E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer“ von Beatrice Minger ist ein cineastisches Festmahl über gleich drei Ikonen: Das filmnamengebende Sommerhaus, die vielschichtige irische Künstlerin Eileen Gray, die mit diesem knapp 90 Quadratmeter kleinen Rückzugsort am azurblauen Meer eine Ikone der modernen Architektur erschaffen hat, und ihr Schweizer Widersacher Le Corbusier, der so fasziniert davon war, dass er es quasi mit seinem Schaffen übermalt und für sich beansprucht hat.

Die filmische Erzählung mit ihren Dialogen und Gedanken ist inspiriert von Originaltexten und Zitaten. Eileen Grays erster Filmsatz gibt alles vor: „Mit diesem Haus habe ich etwas gefunden, von dem ich nicht wusste, dass es mir fehlte. Ein Ort, nach dem ich mich ein Leben lang gesehnt hatte.“ Mit ganzer Kraft blickt die filmische und kammerspielartig inszenierte Würdigung aber nicht nur auf den künstlerischen Konflikt, sondern vielmehr auf die Entstehungsgeschichte und damit tief ins Leben einer kreativen wie Freiheit suchenden Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Anfangs arbeitet Gray mit lackierten Leinwänden und Möbeln, gestaltet Naturfaserteppiche, experimentiert mit modernen, leichten Stoffen wie Kork, Aluminium, Plexiglas und Stahlrohr, sorgt für Furore im wilden und kreativen Paris der Dreißigerjahre.

Der 15 Jahre jüngere Badovici, mit dem Gray eine kurzzeitige Liaison eingeht, ist es, der sie dafür begeistert, ein erstes Haus zu entwerfen. Ein magnetischer Ehrgeiz entwickelt sich, denn auf Gray wirkt die moderne Architektur viel zu kopflastig. In ihren Augen richtet sich das Bauen zu sehr nach den Gesetzen der Mechanisierung. Eine emotionale, lebendige Architektur muss her. „Ich hatte genug davon, nur Innenräume zu gestalten“, sagt Gray im Film.

Irin mit aristokratischen Wurzeln

Also kreiert sie in Roquebrune-Cap-Martin an der Côte d’Azur ein avantgardistisches Gebäude, das schnell zum architektonischen Meisterwerk mit wechselvoller Historie wird. E.1027 erweist sich als kreative Leidenschaft. Selbst das Kürzel steht für diese Lust: E für Eileen, 10 für Jean, denn das J ist der zehnte Buchstabe des Alphabets. Die Zahl 2 für den Buchstaben B wie Badovici und die 7 für G wie Gray.

Das Haus am Meer will mehr. Es ist ein früher Beweis dafür, wie fortschrittlich und transparent Architektur sein kann. Lichtdurchflutet, offen, die Natur hereinholend. Eine Symbiose aus Mensch und Natur. Die Grenzen verschwimmen. Die Reduktion auf das Wesentliche. Funktionale Möbel, die sich perfekt in das minimalistische Design einfügen. Eine Oase der Ruhe und Inspiration. Ein Ort, an dem die Seele baumelt. „Um schöpferisch zu sein, muss man zuerst alles in Frage stellen“, lautet einer der programmatischen Sätze von Eileen Gray.

Geboren 1878 in Enniscorthy im Südosten Irlands, studiert die Tochter aus gutem Hause zunächst Malerei an der Slade School of Fine Art in London, bevor es sie nach Paris verschlägt. Dort entdeckt sie ihre Leidenschaft für Lackarbeiten und beginnt, Möbel und Einrichtungsgegenstände zu entwerfen. Ihr einzigartiges Gespür für Form, Material und Farbe macht sie schnell bekannt. Sie wird zu einer der wichtigsten Vertreterinnen des Art déco. Ihre Werke sind heute in den Sammlungen renommierter Museen weltweit zu finden.

Ein Haus als gebaute Utopie

Doch Eileen Gray will mehr. Sie will Räume schaffen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Räume, die nicht nur schön, sondern auch funktional und komfortabel sind. „Ein Haus ist keine Maschine, in der man lebt“, sagt sie. „Es ist die Schale des Menschen, seine Verlängerung, seine Freisetzung, seine spirituelle Emanation.“ Mit E.1027 verwirklicht sie ihren Traum von einem solchen Haus. Ein Haus als gebaute Utopie. Ein Haus, das die Bedürfnisse seiner Bewohner:innen in den Vordergrund stellt. Ein Haus, das ihnen Freiheit und Individualität ermöglicht. Ein Haus, das ihnen ein Gefühl von Geborgenheit und Heimat vermittelt. Ein Haus, das sie inspiriert und beflügelt.

Doch der Traum vom perfekten Zuhause platzt. Die Beziehung zu Badovici zerbricht. Le Corbusier kommt ins Spiel. Und mit ihm der Konflikt. Die Dokumentation zeigt eindrucksvoll, wie sehr Eileen Gray unter dieser Situation leidet. Wie sie um ihr Lebenswerk kämpft. Wie sie versucht, ihren Platz in der männerdominierten Welt der Architektur zu behaupten. Und wie sie schließlich doch an dem Verrat ihres ehemaligen Freundes und Kollegen zerbricht.

„E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer“ ist mehr als nur ein Film über Architektur. Es ist ein Film über eine starke Frau, die sich ihren Platz in einer Männerwelt erkämpfen muss. Es ist ein Film über die Liebe zur Kunst und die Leidenschaft für das Gestalten. Es ist ein Film über die Schattenseiten des Erfolgs und die Zerbrechlichkeit von Beziehungen. Es ist ein Film, der berührt und nachdenklich stimmt. Ein Film, der lange nachhallt.

Quellen:

  • https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wohnen/haus/grosses-architekturkino-dokufiktion-ueber-eileen-gray-110053500.html
  • https://www.ubm-development.com/magazin/die-legende-e-1027/
  • https://www.ad-magazin.de/artikel/eileen-gray-film-haus-am-meer-villa
  • https://www.decohome.de/eileen-gray-film-portraet/
  • https://www.dumont-buchverlag.de/buch/josephine-nicolas-das-haus-am-meeresufer-9783832182861-t-5714
  • https://www.stylepark.com/de/news/eileen-gray-e1027-film-christoph-schaub-beatrice-minger-stylepark-magazin
  • https://www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/e-1027-eileen-gray-und-das-haus-am-meer-2024
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