18.10.2024
EU-Migrationspolitik: Verschärfungskurs findet breite Zustimmung

Mette Frederiksen, die dänische Ministerpräsidentin, zeigte sich zufrieden mit der neuen Richtung der EU-Migrationspolitik. Wie die F.A.Z. berichtet, habe sie noch vor zwei Jahren für taube Ohren geworben, als es um die Auslagerung von Asylverfahren ging. Heute sei das anders, so Frederiksen.

Ähnlich äußerte sich der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer. Er sprach von einem Paradigmenwechsel und „tatsächlich neuen Maßstäben“. Auch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, der das Asylrecht in seinem Land einschränken will, zeigte sich zufrieden. „Was ich erreichen wollte, habe ich erreicht“, sagte er am Donnerstagabend.

Drei Stunden debattierten die Staats- und Regierungschefs über Migration und Asyl im Europäischen Rat – nur drei Stunden, wie Diplomaten gegenüber der F.A.Z. betonten. In den Jahren zuvor waren die Gipfel zum Thema von Streitigkeiten geprägt. Dieses Mal herrschte erstaunliche Einigkeit darüber, dass der Kurs weiter verschärft werden soll. Ein hartes Vorgehen gegen die Instrumentalisierung von Migranten, die Auslagerung von Asylverfahren und abgelehnten Asylbewerbern in Drittstaaten sowie ein verschärfter Gesetzentwurf zu Rückführungen standen auf der Agenda. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz, der viele Punkte skeptisch sieht, lobte die „konstruktive Atmosphäre“.

Ein wesentlicher Teil der Debatte drehte sich um die Lage in Polen. Tusk, der als erster Redner zu Wort kam, begründete die geplante Aussetzung des Asylrechts in seinem Land mit einem hybriden Krieg, den Belarus und Russland führen würden. Laut einem internen Protokoll der Sitzung, das der F.A.Z. vorliegt, lockten die Länder gezielt Migranten aus arabischen Staaten an die polnische Grenze. Mit diesen Staaten habe die EU keine Rücknahmeabkommen.

Tusk erhielt für seinen Vorstoß viel Unterstützung. Neben den baltischen Staaten, die 2021 und 2022 selbst von Belarus unter Druck gesetzt worden waren, sicherte auch der finnische Regierungschef Petteri Orpo Polen seine Solidarität zu. Finnland sieht sich seit einem Jahr mit demselben Problem an der 1300 Kilometer langen Grenze zu Russland konfrontiert. Das Land hat die Grenze komplett abgeriegelt und per Gesetz festgelegt, dass Grenzschützer bei größeren Durchbrüchen Migranten zurückweisen dürfen. Die finnische Regierung räumte ein, dass dies „in Spannung zum EU-Recht“ stehe. Orpo forderte daher ein neues EU-Gesetz, um gegen instrumentalisierte Migration vorzugehen. Auch die Niederlande, Spanien und Griechenland erklärten sich solidarisch.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schloss sich der Argumentation der Betroffenen an. Es gehe darum, die Europäische Union gegen hybride Angriffe staatlicher Akteure zu verteidigen. Daher müssten die Länder in der Lage sein, „vorübergehende und angemessene Maßnahmen zu ergreifen“, sagte sie in der Sitzung. Die EU arbeite nun mit Polen zusammen, so wie zuvor schon mit Finnland und den baltischen Staaten. Auch in den Schlussfolgerungen des Treffens, die auf polnisches Drängen hin noch einmal verändert wurden, fand dies seinen Niederschlag. „Ausnahmesituationen erfordern angemessene Maßnahmen“, heißt es da. Die Außengrenze solle „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ geschützt werden, freilich „im Einklang mit dem EU-Recht und dem Völkerrecht“.

Der zweite Teil der Debatte befasste sich mit der Auslagerung von Asylverfahren und abgelehnten Asylbewerbern in Drittstaaten. Diese „innovativen Lösungen“, wie es euphemistisch heißt, wurden bereits am Morgen vor dem Rat auf einem Treffen von elf Regierungschefs in der italienischen Delegation besprochen. Eingeladen hatten Giorgia Meloni, Mette Frederiksen und Dick Schoof aus den Niederlanden. Auch Ursula von der Leyen nahm an dem Treffen teil, was in Brüssel als klares Signal gewertet wurde, dass sie solche Lösungen vorantreiben will.

Frankreich, Deutschland und Spanien nahmen an dem Treffen nicht teil. Bundeskanzler Scholz äußerte sich skeptisch. Solche Konzepte seien nur „ganz wenige, kleine Tropfen“ – auf den heißen Stein, sollte das heißen. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sagte, Rückkehrzentren würden keine Probleme lösen, sondern nur neue schaffen. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezweifelte, dass sich überhaupt Länder dafür finden würden. Die drei lagen damit allerdings neben dem Mainstream.

Besonders fiel auf, dass mit Frederiksen eine Sozialdemokratin die Debatte vorantrieb. Sie stellte hinter verschlossenen Türen sogar die Genfer Konvention infrage, die es verbietet, Flüchtlinge in Länder zurückzuweisen, in denen ihnen Verfolgung droht. „Die Regeln, die nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegt wurden, funktionieren in der heutigen Welt nicht mehr“, sagte sie laut dem Protokoll. Wie die rechtsnationale Meloni forderte auch Frederiksen, dass Syrien neu bewertet werden solle, um die Rückführung von Migranten zu ermöglichen, die in Europa als Bürgerkriegsflüchtlinge anerkannt sind. Dieser Punkt fand zwar nicht Eingang in die Schlussfolgerungen, doch darf man auf die künftigen Berichte der Europäischen Asylbehörde gespannt sein.

Karl Nehammer sagte nach dem Treffen, Österreich habe inzwischen 18 Verbündete, wenn es um eine schärfere Politik gehe. Wen genau er dazu zählte, blieb offen. Klar aber ist: Der Diskurs hat sich weiter nach rechts verschoben. Jene, die noch vor ein, zwei Jahren in der Minderheit waren, geben jetzt den Ton an.

Quelle: F.A.Z.

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