Der Satz „Ich habe nur Befehle befolgt“ hallt durch die Geschichte, von den Nürnberger Prozessen bis zu modernen Kriegsverbrechen. Doch was passiert tatsächlich in unserem Gehirn, wenn wir Anweisungen befolgen, insbesondere solche, die unseren moralischen Grundsätzen widersprechen? Wie die Forschung zeigt, ist die Antwort komplex und reicht bis in tiefgreifende neuronale Prozesse hinein.
Eine zentrale Studie von Emilie Caspar, die unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) besprochen wurde, untersuchte das Verhalten von Tätern bei Völkermorden. Überraschenderweise gaben Täter aus unterschiedlichen Kulturen und Kontexten – von Ruanda bis Kambodscha – übereinstimmend an, lediglich Befehle befolgt zu haben. Diese Beobachtung legt nahe, dass Gehorsam eine universelle Rolle bei der Beteiligung an Gräueltaten spielt.
Caspars Forschung, die auch auf SciLogs erwähnt wird, konzentriert sich auf den sogenannten „Sense of Agency“, das subjektive Gefühl, Urheber einer Handlung zu sein und die Kontrolle über deren Folgen zu haben. In Experimenten mit Probandinnen, die anderen auf Befehl Elektroschocks verabreichten, stellte sie fest, dass das Verantwortungsgefühl im „Befehlsmodus“ deutlich abnahm. Messungen der Hirnströme mittels EEG zeigten eine abgeschwächte N1-Komponente, ein elektrisches Potential, das mit der Verarbeitung von Reizen einhergeht. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass das Gehirn Handlungen im Befehlsmodus anders verarbeitet, als wenn sie aus eigenem Antrieb ausgeführt werden.
Weitere Experimente, wie in der Süddeutschen Zeitung (SZ) berichtet, bestätigten diesen Effekt. Probanden, die auf Anweisung handelten, nahmen die Zeit zwischen Handlung und Konsequenz als länger wahr als diejenigen, die selbst entschieden. Dies deutet auf eine verminderte Handlungskontrolle und ein verringertes Verantwortungsgefühl hin. Die SZ zitiert den an der Studie beteiligten Forscher Patrick Haggard: „Vermutlich werden unsere grundsätzlichen Gefühle der Verantwortlichkeit vermindert, wenn wir zu etwas gezwungen werden.“
Die neuronale Verarbeitung von Handlungen unter Befehl unterscheidet sich also von der Verarbeitung freiwilliger Handlungen. Wie Scinexx berichtet, zeigten EEG-Messungen eine abgeschwächte neuronale Reaktion auf die Folgen der Handlung bei Probanden, die Anweisungen befolgten. Dies unterstützt die These, dass Befehle eine Art „passiven Modus“ im Gehirn aktivieren, der die Verbindung zwischen Handlung und Konsequenz schwächt.
Die Implikationen dieser Forschungsergebnisse sind weitreichend. Sie werfen Fragen nach der Willensfreiheit und der Verantwortung in hierarchischen Strukturen auf. Wie Caspar in der FAZ betont, sind die Ergebnisse jedoch kein Freibrief für Täter. Sie verdeutlichen vielmehr die Notwendigkeit, soziale Kontexte zu schaffen, die Verantwortung und Autonomie fördern.
Die Fähigkeit, Befehle zu befolgen, ist ein fundamentaler Bestandteil menschlichen Sozialverhaltens. Die Forschung zeigt jedoch, dass diese Fähigkeit auch missbraucht werden kann, um Menschen zu Handlungen zu bewegen, die sie sonst nicht begehen würden. Das Verständnis der neuronalen Prozesse, die dem Gehorsam zugrunde liegen, ist daher entscheidend, um Mechanismen der Verantwortungsdiffusion zu erkennen und Strategien zu entwickeln, die moralischem Handeln auch unter Druck den Vorrang geben.
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