19.10.2024
Herausforderungen und Reformbedarf in der deutschen Asylpolitik

Asylpolitik nach Solingen: Die meisten Abschiebungen scheitern an anderen Staaten

Nach dem Anschlag von Solingen, bei dem ein abgelehnter syrischer Asylbewerber drei Menschen mit einem Messer tötete und weitere acht schwer verletzte, ist die Debatte um die deutsche Asylpolitik neu entbrannt. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat in diesem Kontext einen Vorschlag unterbreitet, der eine radikale Wende in der Migrationspolitik anstrebt: die Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen. Dies würde eine grundlegende Veränderung der bisherigen Praxis darstellen, die in den letzten Jahren durch verschiedene Maßnahmen geprägt war.

Der Migrationsrechtsexperte Daniel Thym von der Universität Konstanz bezeichnete Merz' Vorschlag als Möglichkeit, eine "Trendwende" in der Migrationspolitik einzuleiten. Er argumentiert, dass die bisherigen schrittweisen Anpassungen der Asylpolitik nicht ausreichen, um die Herausforderungen zu bewältigen, die durch die steigende Anzahl von Asylbewerbern und die damit verbundenen sicherheitspolitischen Fragen entstehen. Der Innenpolitiker Philipp Amthor sieht in dieser Situation eine "historische Chance", das Problem der Migration in Deutschland anzugehen.

Der Vorschlag zur Zurückweisung an den Grenzen ist nicht neu. Bereits im Jahr 2018 hatte die CSU ähnliche Maßnahmen gefordert, die jedoch aufgrund der damaligen politischen Mehrheiten, insbesondere unter der Führung von Angela Merkel, nicht umgesetzt werden konnten. Seitdem hat die deutsche Migrationspolitik zwar einige Verschärfungen erfahren, gleichzeitig gab es jedoch auch Initiativen zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Erleichterung von Einbürgerungen.

Die Reaktionen auf Merz' Vorschlag sind gemischt. Bundeskanzler Olaf Scholz hat signalisiert, dass er in dieser zentralen Frage nicht mitziehen wird. Stattdessen schlägt er ein Verhandlungsformat vor, das die Koalitionspartner sowie die Ministerpräsidenten von CDU und CSU einbezieht. Dies könnte Merz in eine schwierige Lage bringen, da einige Parteifreunde, die sich Chancen auf eine Kanzlerkandidatur ausrechnen, möglicherweise eine andere Position vertreten.

Die CSU hat die Diskussion um die Migrationspolitik als "Ampel-Hinhaltegesprächskreis" kritisiert, der nicht bereit sei, den notwendigen "Knallhart-Kurs" zu verfolgen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann äußerte Bedenken, dass die Regierung nicht ernsthaft an einer Beschränkung der Migration interessiert sei. In Teilen der Koalition wird zudem die Auffassung vertreten, dass die zunehmende Gewalt von Tätern mit Migrationshintergrund nicht allein auf die ungesteuerte Migration zurückzuführen ist. Die grüne Innenpolitikerin Lamya Kaddor betonte, dass es auch ein Islamismusproblem in Deutschland gebe, das nicht nur auf die Einwanderung zurückzuführen sei.

Die Diskussion über die Asylpolitik wird durch die Tatsache kompliziert, dass viele Abschiebungen in Deutschland scheitern. Im ersten Halbjahr 2024 blieben in Rheinland-Pfalz rund 40 Prozent der Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern erfolglos. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Oft werden die betroffenen Personen nicht angetroffen, leisten Widerstand oder können aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Auch die Überlastung der Ausländerbehörden spielt eine Rolle, da diese jeden Einzelfall prüfen müssen und häufig am Limit ihrer Kapazitäten arbeiten.

Ein zentrales Problem ist die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern durch die Herkunftsländer. Niedersachsen's Innenministerin Daniela Behrens wies darauf hin, dass Deutschland auf das Wohlwollen der Herkunftsländer angewiesen ist. Wenn diese die Rücknahme verweigern, wird die Abschiebung unmöglich. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit immer wieder betont, dass die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern verbessert werden müsse, um die Rückführungen zu erleichtern.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Abschiebungen sind ebenfalls komplex. Abschiebungen sind nur dann möglich, wenn die betroffenen Personen in ein Land gebracht werden, in dem ihnen keine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies ist insbesondere bei Ländern wie Syrien und Afghanistan problematisch, wo die Sicherheitslage weiterhin angespannt ist. Derzeit haben viele Afghanen und Syrer in Deutschland einen subsidiären Schutzstatus, der ihnen erlaubt, vorerst zu bleiben, da ihnen in ihren Heimatländern ernsthafter Schaden drohen könnte.

Die Dublin-Verordnung regelt, welcher EU-Staat für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständig ist. In vielen Fällen scheitern Rücküberstellungen nach dem Dublin-System, da die betroffenen Länder nicht bereit sind, die Migranten zurückzunehmen. Im Jahr 2023 gab es über 74.000 Rücknahmeersuchen von Deutschland an andere EU-Staaten, von denen jedoch viele abgelehnt wurden. Dies führt dazu, dass Deutschland in vielen Fällen selbst für die Migranten zuständig wird, die ursprünglich über andere Staaten in die EU eingereist sind.

Die Problematik der Abschiebungen wird durch die Tatsache verstärkt, dass viele abgelehnte Asylbewerber sich vor der Abschiebung verstecken oder sogar Widerstand leisten, wenn sie an den Flughafen gebracht werden. Berichten zufolge gibt es Fälle, in denen Personen sich selbst verletzen oder andere extreme Maßnahmen ergreifen, um eine Abschiebung zu verhindern. Dies stellt die Behörden vor erhebliche Herausforderungen und führt dazu, dass viele geplante Abschiebungen abgebrochen werden müssen.

Die Diskussion um die Asylpolitik in Deutschland wird auch durch die politischen Entwicklungen in der EU beeinflusst. Einige Mitgliedstaaten haben bereits Maßnahmen ergriffen, um die Migration zu kontrollieren und die Rückführungen zu erleichtern. Deutschland steht unter Druck, ähnliche Schritte zu unternehmen, um die eigene Migrationspolitik zu reformieren und die Sicherheit im Land zu gewährleisten.

Insgesamt zeigt die aktuelle Situation, dass die deutsche Asylpolitik vor großen Herausforderungen steht. Die Diskussion um die Zurückweisung an den Grenzen und die Notwendigkeit einer Reform der Abschiebepraxis sind zentrale Themen, die in den kommenden Monaten weiter an Bedeutung gewinnen werden. Die politischen Akteure sind gefordert, Lösungen zu finden, die sowohl den rechtlichen Rahmen als auch die sicherheitspolitischen Anforderungen berücksichtigen.

Die Debatte über die Asylpolitik nach dem Anschlag in Solingen verdeutlicht, dass es an der Zeit ist, die bestehenden Strukturen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Die Herausforderungen, die sich aus der Migration ergeben, erfordern ein koordiniertes und effektives Vorgehen, um sowohl die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten als auch den rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.

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