Von Donnerstag an tagen die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel, auf der Tagesordnung steht auch das weitere Vorgehen in der Migrationspolitik. Passend dazu meldet die italienische Regierung, dass ihre umstrittenen Lager für Asylbewerber in Albanien fertiggestellt sind. Damit beginnt für Italien, aber auch für die EU eine neue Phase der Migrationspolitik. Die Idee ist nicht neu, hilfesuchende Menschen gar nicht erst nach Europa kommen zu lassen, sondern sie beispielsweise auf dem Mittelmeer abzufangen und in ein extraterritoriales Lager zu bringen, um dort ihr Asylbegehren zu prüfen. Aber erst die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni macht damit jetzt wirklich ernst, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.
Während ihres Sommerurlaubs im vergangenen Jahr, den sie in der Region Apulien verbracht hatte, war die rechte Regierungschefin überraschend auf Einladung ihres linken albanischen Amtskollegen Edi Rama, der ein bekennender Fan von ihr ist, über die Adria geschippert und hatte einige Zeit mit Rama in dessen Sommerresidenz verbracht. Wie später bekannt wurde, haben die beiden dort den Plan entwickelt, auf albanischem Boden, aber auf italienische Kosten und unter italienischer Verwaltung, zwei zusammenhängende Lager einzurichten, in denen jährlich 36 000 Menschen verwaltet werden sollen. Diese Lager sind aus albanischer Sicht exterritorial, ungefähr so wie eine Botschaft, sie unterstehen der italienischen Jurisdiktion.
Im Mittelmeer an Bord genommene Migranten sollen zunächst für eine erste Überprüfung in die Unterkunft am Adria-Hafen Shengjin gebracht werden. Das sollen nur erwachsene Männer sein, keine Frauen und Minderjährige; auch die von privaten Rettungsschiffen Aufgenommenen sind nicht betroffen. Anschließend kommen die Menschen in das nahe gelegene Hauptlager in Gjader. Dort entscheiden italienische Staatsbedienstete über ihr Asylbegehren.
Wer abgelehnt wird, kann gegen den Bescheid klagen, das Verfahren wird im Lager geführt. Nur wer anerkannt wird, kommt nach Italien, alle anderen sollen in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden. Wie oft Letzteres gelingt, ist angesichts der hohen Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs an die Menschenrechtssituation im Herkunftsstaat eine der vielen offenen Fragen. Trotzdem hofft Meloni, ihrem wichtigsten Wahlkampfversprechen näherzukommen, Italien vor irregulärer Migration zu bewahren, mit dem sie im Herbst 2022 an die Macht kam.
Das Projekt ist in beiden Ländern und auch international umstritten. Es gibt rechtliche Probleme, aber auch praktische. Schon die Auswahl derjenigen, die auf hoher See für die Tour nach Albanien aussortiert werden, gilt als problematisch. Ob es ferner tatsächlich gelingt, die Arbeit zahlreicher Behörden und Menschen auf beiden Seiten der Adria rechtsstaatlich korrekt zu koordinieren, ist offen. Teilweise sollen die Kontakte über große Bildschirme in Rom und in den Lagern aufrechterhalten werden, aber es ist auch ein regelrechter Justiztourismus auf der Fährroute von Bari nach Shengjin zu erwarten. Pausenlos werden italienische Polizisten, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Richter hin und her unterwegs sein. Auch die anerkannten Asylbewerber und jene, deren Rückführung ins Heimatland binnen 18 Monaten nicht möglich ist, werden nach Italien gebracht.
Den Vorwurf mangelnder Rechtsstaatlichkeit wies Innenminister Matteo Piantedosi am Samstag zurück. Die Zentren seien denen in Italien ähnlich, es handele sich um einen „leichten Gewahrsam“. Es gebe „keinen Stacheldraht, es gibt Unterstützung, jeder kann einen Antrag auf internationalen Schutz stellen und diesen in wenigen Tagen erhalten“. Menschenrechtsorganisationen protestieren dennoch heftig. Die Menschen gegen ihren Willen in ein drittes, weiter entferntes Land zu bringen, sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht.
Politisch Verantwortliche in einzelnen Mitgliedstaaten und in Brüssel äußerten zuletzt aber Verständnis für und Interesse am italienischen Weg. Überall in der EU sind die Regierungen mittlerweile zur Verschärfung der Migrationspolitik bereit, im Mai ist nach jahrelangem Streit eine verschärfte europäische Asylreform beschlossen worden. Sie sieht schnelle Asylverfahren an den Außengrenzen und einen deutlich härteren Umgang mit Menschen aus Ländern vor, die als relativ sicher gelten. Auch die deutsche Bundesregierung spricht sich für härtere Regeln aus.
Italien leidet in besonderer Weise unter der hohen Zahl von aus Nordafrika übersetzenden Flüchtenden. Zwar kommen zur Zeit weniger als halb so viele Migranten an als vor einem Jahr, was auch an der harten Politik liegt, mit der Länder wie Tunesien und Libyen die Menschen davon abhalten, auf See zu gehen; dafür werden die Staaten von der EU bezahlt. Es gibt Berichte über massive Menschenrechtsverletzungen in den Ausgangsstaaten. Trotzdem machen sich immer noch Zehntausende auf häufig kaum seetauglichen Booten auf die Reise. Die Lager in Albanien sollen nach dem Willen der italienischen Rechts-Koalition auch ein Signal an die Ausreisewilligen sein, dass der Weg nach Italien versperrt ist.
Die liberale und linke Opposition kann Meloni damit nicht überzeugen. „Im Eiltempo“ habe die Regierung zum Bau der Lager „millionenschwere Direktverträge ohne Transparenz abgeschlossen: insgesamt 800 Millionen, die wir in die Gesundheitsversorgung hätten stecken können“, sagte die sozialdemokratische Oppositionsführerin Elly Schlein am Wochenende und kündigte weitere Proteste an: „Wir sind gegen diese Verletzung der Grundrechte von Asylbewerbern, die auch eine enorme Verschwendung von italienischen Steuergeldern darstellt.“
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Mit mehreren Monaten Verspätung können die italienischen Aufnahmezentren für Migranten in Albanien nun ihre Arbeit aufnehmen. "Die beiden Zentren sind ab heute bereit und einsatzfähig", sagte Italiens Botschafter in Albanien, Fabrizio Bucci, bei einem Besuch der Einrichtungen. Es ist jedoch unklar, wann die ersten Geflüchteten dort eintreffen werden. In beide Lager sollen Menschen gebracht werden, die von den italienischen Behörden auf hoher See auf dem Weg übers zentrale Mittelmeer nach Italien an Bord genommen wurden. Pro Jahr können laut der italienischen Regierung Zehntausende Menschen in den Zentren unterkommen, wie die Tagesschau berichtet.
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