Die Rolle der Frau in der keltischen Gesellschaft Britanniens während der Eisenzeit war komplexer, als lange angenommen. Neuere Forschungsergebnisse, wie sie unter anderem in der F.A.Z. dargestellt werden, deuten darauf hin, dass Frauen durchaus Machtpositionen innehatten und Einfluss auf politische Entscheidungen ausübten. So berichtet die F.A.Z. über die Praxis der Matrilokalität bei einem keltischen Volksstamm in Britannien, wobei die Männer nach der Hochzeit zur Familie der Frau zogen. Diese Praxis, so die F.A.Z., könnte weiter verbreitet gewesen sein, als bisher angenommen und Frauen den Zugang zu politischer Macht ermöglicht haben.
Die Vorstellung von keltischen Kriegerköniginnen, die mit ihren Männern Seite an Seite in die Schlacht zogen, ist zwar weit verbreitet, wird aber durch historische Quellen und archäologische Funde nicht eindeutig gestützt. Wie Bettina Arnold in ihrem Artikel "‘Honorary males’ or women of substance? Gender, status, and power in Iron-Age Europe" im "Journal of European Archaeology" ausführt, sind die Quellen zur Rolle der Frau in der Eisenzeit problematisch. Klassische, mediterrane Quellen seien von der Perspektive der "zivilisierten" Beobachter geprägt und insular-keltische Gesetze und Legenden durch Zeit, Distanz und christliche Einflüsse verändert.
Archäologische Funde, wie das reich ausgestattete Frauengrab in Harper Road, Southwark, das vom Museum of London beschrieben wird, zeugen zwar vom hohen Status einiger Frauen, lassen aber keine direkten Rückschlüsse auf deren politische Macht zu. Die im Grab gefundenen Objekte, darunter importierte Keramik, ein rechteckiger Spiegel und ein bronzener Halsring, deuten auf Wohlstand und Prestige hin. Das Museum of London interpretiert den Spiegel als weibliches Äquivalent zum Schwert, das in Männergräbern gefunden wird und möglicherweise für rituelle Praktiken verwendet wurde. Der Halsring, der in zwei Teile zerbrochen neben dem Spiegel lag, könnte symbolisch für den Verlust der Macht der Frau stehen.
Eine im Fachmagazin "Nature" veröffentlichte Studie mit dem Titel "Continental influx and pervasive matrilocality in Iron Age Britain" analysiert 55 Genome aus der Eisenzeit und kommt zu dem Schluss, dass Matrilokalität in Britannien weit verbreitet war. Die Forscher fanden Hinweise auf eine große Verwandtschaftsgruppe auf dem archäologischen Fundplatz Winterborne Kingston, die durch eine seltene mitochondriale Haplogruppe U5b1 gekennzeichnet ist. Die Häufigkeit dieser Haplogruppe deutet auf eine lange Verbindung dieser Linie mit dem Fundort hin. Die Studie bestätigt die Matrilokalität durch Simulationen, die unterschiedliche Migrationsraten von Männern und Frauen modellierten. Die Ergebnisse zeigen eine geringe weibliche Migrationsrate und eine hohe männliche Migrationsrate, was auf eine Gesellschaft mit weiblicher Abstammungslinie hindeutet.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass keltische Frauen in Britannien während der Eisenzeit in einer Gesellschaft lebten, die ihnen möglicherweise mehr Macht und Einfluss einräumte, als bisher angenommen. Die Matrilokalität könnte eine wichtige Rolle bei der Verteilung von Macht und Ressourcen gespielt haben. Weitere Forschung ist notwendig, um die komplexe Rolle der Frau in der keltischen Gesellschaft vollständig zu verstehen.
https://www.faz.net/aktuell/wissen/archaeologie-altertum/im-keltischen-britannien-hatten-die-frauen-die-hosen-an-110244035.html
https://www.museumoflondon.org.uk/discover/powerful-women-late-iron-age-london-harper-road-burial
https://www.nature.com/articles/s41586-024-08409-6?error=cookies_not_supported&code=593eab70-aa5e-4adf-bedb-f883452e8da4
https://www.cambridge.org/core/journals/journal-of-european-archaeology/article/abs/honorary-males-or-women-of-substance-gender-status-and-power-in-ironage-europe/962C96F0306FF861E1A9F000C2D16610