King Crimsons „21st Century Schizoid Man“: Ein lyrischer Schnellfeuerlauf
Ende der 1960er Jahre erlebte die britische Popmusik eine rasante Transformation. Von den frühen Rhythm-and-Blues-Interpretationen von Bands wie den Beatles und Rolling Stones entwickelten sich ab 1966 komplexere Kompositionen. Insbesondere in London experimentierten Musiker mit verschiedenen Stilrichtungen, deren Einfluss bis heute spürbar ist. Sie etablierten ein Bühnenverhalten, das auch heute noch nachvollziehbar ist, und schufen ikonische Aufnahmen, die den Grundstein des Popkanons bildeten. Wie Philipp Krohn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) schreibt, wäre ein Album wie King Crimsons „In The Court Of The Crimson King“ in den frühen Sechzigern undenkbar gewesen. Die Harmonien, der Stil und die Phrasierung von Gesang und Instrumenten benötigten mehrere Entwicklungsschritte, darunter die Experimente der Beatles mit Stücken wie „I Am The Walrus“, den elektronischen Klang von Pink Floyd und Soft Machine, die Erweiterung der musikalischen Palette durch Procol Harum und die Integration klassischer Musik durch The Nice.
King Crimsons Debütalbum gilt vielen als Geburtsstunde des Progressive Rock. Es inspirierte andere Bands, ihre Vision einer Fusion aus virtuoser Musik, epischen Gesängen und modernem Rock zu verwirklichen. Gruppen wie Yes, Genesis, Gentle Giant, Van Der Graaf Generator und Jethro Tull bewegten sich in einem ähnlichen musikalischen Umfeld, unterstrichen durch fantasievolle Albumcover und aufwendige Bühnenshows. „21st Century Schizoid Man“, der erste Song des Albums, markierte sozusagen den Beginn dieser neuen Szene, so die FAZ. Das 7:22 Minuten lange Stück beginnt mit einer Klangcollage, bevor nach etwa 30 Sekunden ein markantes, von verzerrtem Saxophon geprägtes und von Schlagzeugkaskaden angetriebenes Riff einsetzt. Greg Lake, der später Emerson, Lake & Palmer gründete, singt den Text mit einem damals neuartigen Verzerrer-Effekt.
Der Text stammt von Peter Sinfield, einem der Gründungsmitglieder von King Crimson. Sinfield, der 1968 zu Giles, Giles & Fripp stieß, war einer von vielen Londoner Musikern, die in der wachsenden Rockszene ihren Platz suchten. Er spielte Gitarre und sang, konzentrierte sich aber schließlich auf das Schreiben von Songtexten, eine Rolle, die zuvor in ähnlicher Weise nur Keith Reed von Procol Harum ausgefüllt hatte. Im Gegensatz zu Peter Gabriel von Genesis oder Jon Anderson von Yes interpretierte Sinfield seine Texte nie selbst, prägte aber mit seinen Worten den Stil der Band bis zu seinem Ausscheiden nach dem vierten Album „Islands“. Nach seinem Abschied von King Crimson veröffentlichte Sinfield 1973 das Album „Still“, das seine Fähigkeiten als Songwriter demonstrierte.
Sinfield verstarb im November 2024 im Alter von achtzig Jahren. Von den fünf Gründungsmitgliedern von King Crimson leben nur noch Michael Giles und Robert Fripp. Giles verließ die Band nach dem ersten Album, während Fripp bis heute das Herzstück der Formation bildet, die im Laufe der Jahre immer wieder neue Klangkonzepte erforschte.
Lyrisch bezieht sich „21st Century Schizoid Man“ auf die Erfahrungen einer Generation, die mit dem Vietnamkrieg aufwuchs. Die eindringliche Vortragsweise kombiniert mit der Härte des Riffs hatte eine unmittelbare Wirkung auf die Zuhörer. Pete Townshend von The Who bezeichnete das Riff als das härteste seit Mahlers achter Sinfonie, wie ein „Rolling Stone“-Artikel zitiert. Der Text reflektiert die Schrecken des Vietnamkriegs und unterstellt diesen Ereignissen eine psychologische Langzeitwirkung, die bis ins 21. Jahrhundert reichen und zu einer Generation schizoider Männer führen sollte. Sinfield erklärte in einem Interview mit Hank Shteamer, die Arroganz der Band habe er mit dem Text ausdrücken wollen. Er habe damals viele Dokumentationen über den Vietnamkrieg gesehen und gelesen, und das berühmte Bild eines brennenden Mädchens, das über eine Straße rennt, habe ihn nicht losgelassen. Er wollte die Zuhörer mit seinen Worten aufrütteln und verstören.
Einige Ausdrücke im Song seien „pure phonetics“, also rein aufgrund ihres Klanges gewählt worden, so Sinfield.
Quellen:
- Philipp Krohn: Der Song „21st Century Schizoid Man“ von King Crimson: Ein Text wie aus dem Maschinengewehr. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2024. (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/pop/pop-anthologie/der-song-21st-century-schizoid-man-von-king-crimson-110184252.html)
- Diverse Einträge und Informationen von Discogs, TheBRPage, Elephant-Talk und Progarchives.
- John Kelman: King Crimson: The Complete 1969 Recordings. All About Jazz, 31.10.2020. (https://www.allaboutjazz.com/the-complete-1969-recordings-king-crimson-panegyric-recordings)
Hinweis: Dieser Artikel wurde mithilfe von ki erstellt.