19.10.2024
Literaturbetrieb rüstet sich für die Frankfurter Buchmesse

Auch wir, liebe Freunde der intellektuellen Imperative und der scharfen Zurückweisungen, auch wir hier hinter den Brandmauern haben in diesem Sommer der Ehrlichmachung rhetorisch aufgerüstet. Was blieb uns schon anderes übrig? In den vergangenen Jahren hatten wir unser Archiv ja endlich komplett digitalisiert, hatten sämtliche Bücher aus- und ein- und wieder ausgelesen und in einem geheimen Datenzentrum gespeichert, weit entfernt, in der Wüste des Realen, wo sie dazu dienten, ALI zu trainieren, die Allgemeine Literarische Intelligenz, die schon bald die Welt mit einem unvorstellbaren und unmenschlichen Ausstoß von Poesie und Fantasie erobern sollte. Und weil wir aber immer noch nachhaltig überschüttet wurden von unverbesserlich papierförmigen Druckerzeugnissen, von in Elefantenleder gebundenen Werkausgaben und von mit tiefgründigen Farben geairbrushten Paperbacks, die von innen bis außen nach Sinnlichkeit und Herzblut rochen, bauten wir uns aus den stabilsten Schmökern einen prächtigen Elfenbeinturm, denn uns war klar, dass wir uns als Hüter des Kanons früher oder später der Angriffe der kulturlosen Wirklichkeit würden erwehren müssen. Und so suchten wir, um die reine Literatur zu verteidigen, aus den allerneuesten Neuerscheinungen die treffsichersten Formulierungen und die kämpferischsten Begriffe heraus, die hinterhältigsten Metaphern und die angriffslustigsten Alliterationen. Zum Glück hatten wir dabei Hilfe. Zwar hatten wir unsere nichtsnutzigen Praktikanten gerade endlich zum sogenannten Teufel gejagt, die fanden wir schon lange nicht mehr zeitgemäß, aber dafür hatten wir eine Kooperation mit der meistgefolgten deutschen Tiktok-Creatorin abgeschlossen. Wir wussten auch nicht genau, was das ist, aber sie hieß @tabeapaulinavalentina und hatte sich mit einem Video beworben, in dem sie Bücher gegen die Wand schmeißt, abwechselnd vor Freude und vor Verzweiflung, außerdem war sie ein Naturtalent im Unboxing, das war genau die Kompetenz, die wir gerade suchten. Sie las zwar eher wenig, aber schaute wahnsinnig gerne Bücher an, manchmal sogar Buchstaben, aber sie konnte gute Geschichten einfach fühlen und ganz tief in Klappentexte eintauchen. Auf ihre Stirn hatte sie sich ein Wort aus ihrem Lieblingsbuch tätowieren lassen: „Απóγνωσις“. – „Das ist Griechisch und heißt ,Guten Appetit!‘“, verriet sie uns stolz. Dazu hatten wir uns unseren Lieblingsdeutschlehrer Cordt Schnibben an Bord geholt, der uns helfen sollte, unseren Turm sicher über das Büchermeer zu navigieren oder so ähnlich. Cordt war uns natürlich schon als fleißiger Reporterfabrikant bestens bekannt, aber seit kurzem brillierte er auch als Experte für das aufstrebende Erfolgsgenre Old Adult, als Brückenbauer „zwischen Autoren und zwischen ihnen und ihren Lesern“, wie er sein neues Projekt wortgewandt beschrieb. „Book-Talk“ nannte er es ganz fancy. Schnibben hatte wieder mal als einer der ersten „mitbekommen, dass sich etwas breitmacht, was viele verwirrt“, nämlich, so hatte er uns geschrieben: „Es werden wieder Bücher gelesen, in Scharen greifen besonders jüngere Leserinnen, es sind vor allem Leserinnen, zu Büchern.“ Das musste er tabeapaulinavalentina nicht zweimal erklären, sondern mindestens drei- oder viermal. „Bücher, klar, voll slay, aber was ist Book-Talk? Meinst du Back-Teig? Oder Bug-Talg? Oder vielleicht doch Booktok, du Boomer?“, rief sie ihm zu und warf vor Lachen ein paar hochaktuelle Must-Reads in die Luft. Aber Schnibben ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und entgegnete: „Hör mal, du Kreaturin! Es gibt ein Romanleben jenseits von Drachenreiterinnen! Es geht auch

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