Die Berliner Mauer, errichtet im August 1961, teilte nicht nur eine Stadt, sondern auch Familien, Freundschaften und Lebenswege. Für viele Menschen in der DDR bedeutete sie Gefangenschaft in einem System, das ihnen die Freiheit verweigerte. Die Sehnsucht nach Freiheit und die Hoffnung auf ein besseres Leben im Westen waren so stark, dass viele DDR-Bürger bereit waren, ihr Leben zu riskieren, um die Mauer zu überwinden.
Unter den zahlreichen Fluchtgeschichten, die sich während der deutschen Teilung ereigneten, nehmen die Tunnelfluchten einen besonderen Platz ein. Eine der spektakulärsten und erfolgreichsten Aktionen dieser Art war die Flucht durch den sogenannten "Tunnel 57" im Oktober 1964. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) berichtet, gelang es 57 Menschen, darunter auch Klaus-Michael von Keussler, durch diesen Tunnel von Ost- nach West-Berlin zu fliehen.
Der Tunnel, der seinen Namen von der Anzahl der durch ihn Geflüchteten erhielt, wurde in monatelanger, geheimer Arbeit von einer Gruppe mutiger Studenten der Freien Universität Berlin unter der Leitung des Fluchthelfers Wolfgang Fuchs gegraben. Der Ausgangspunkt des Tunnels befand sich im Keller einer ehemaligen Bäckerei in der Bernauer Straße 97 in West-Berlin. Von dort aus gruben sich die Helfer in zwölf Metern Tiefe unter der Mauer hindurch bis zu einem Hinterhof in der Strelitzer Straße 55 in Ost-Berlin.
Die Flucht durch den 145 Meter langen und 90 Zentimeter hohen Tunnel war ein lebensgefährliches Unterfangen. Die Tunnelbauer und die Flüchtlinge mussten unter ständiger Angst vor Entdeckung durch die DDR-Grenztruppen arbeiten. Der enge Tunnel, die stickige Luft und die ständige Gefahr eines Einsturzes stellten eine enorme psychische und physische Belastung dar.
In der Nacht zum 4. Oktober 1964 begann die gefährliche Aktion. Nacheinander wurden die Flüchtlinge durch den Tunnel in die Freiheit geführt. Doch die Aktion verlief nicht ohne Zwischenfälle. Ein Stasi-Spitzel hatte den Plan verraten, und so wurden die Fluchthelfer am späten Abend des 4. Oktober von DDR-Grenzsoldaten überrascht. Bei dem Versuch, die Flucht zu decken, fielen Schüsse. Der DDR-Grenzsoldat Egon Schultz wurde tödlich getroffen.
Die DDR-Propaganda instrumentalisierte den Tod von Egon Schultz, um die Fluchthelfer als "Mörder" zu brandmarken und die öffentliche Meinung gegen sie aufzuhetzen. Erst nach der Wiedervereinigung konnte durch die Akten der Staatssicherheit der wahre Tathergang rekonstruiert werden. Demnach wurde Schultz nicht von den Fluchthelfern, sondern von einem Querschläger aus den Reihen der eigenen Kameraden getötet.
Die Geschichte des "Tunnels 57" steht exemplarisch für den Mut und die Entschlossenheit vieler Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens die Flucht aus der DDR wagten. Sie ist aber auch ein Beispiel für die menschenverachtende Brutalität des SED-Regimes, das vor nichts zurückschreckte, um seine Bürger einzusperren und ihnen die Freiheit zu verwehren.
Die Erinnerung an die Tunnelfluchten und an alle anderen Fluchtversuche ist wichtig, um die Geschichte der deutschen Teilung und die Bedeutung der deutschen Einheit wachzuhalten. Sie mahnt uns, die Freiheit und die Demokratie zu verteidigen und uns für die Menschenrechte einzusetzen - überall auf der Welt.
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