19.10.2024
Neue Töne in den deutsch-türkischen Beziehungen

Kehrtwende in der deutschen Türkeipolitik

Lange Zeit galten Rüstungsexporte in die Türkei als heikles Thema für die deutsche Bundesregierung. Doch wie die F.A.Z. berichtet, scheint sich diese Haltung nun zu ändern. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte bei seinem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Istanbul weitere Rüstungslieferungen an Ankara an. „Die Türkei ist Mitglied der NATO, und deshalb gibt es von uns immer wieder auch Entscheidungen, in denen es zu konkreten Lieferungen kommt“, sagte Scholz im Dolmabahçe-Palast in Istanbul. „Solche Entscheidungen haben wir auch in jüngster Zeit getroffen, und es wird da auch weitere geben.“

Besonders großes Interesse zeigt die Türkei an Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter Typhoon. Die Verhandlungen über einen möglichen Verkauf wurden bisher von der Bundesregierung blockiert, da Deutschland Teil des Herstellerkonsortiums ist, dem auch Großbritannien, Italien und Spanien angehören. Nun erklärte Scholz jedoch, dass Großbritannien als führende Nation des Konsortiums Gespräche mit der Türkei aufgenommen habe.

Wie die türkische Zeitung „Yeni Şafak“ berichtet, ist bereits ein Team des Konsortiums für mehrwöchige technische Gespräche in die Türkei gereist. Erdoğan selbst betonte, dass die „Probleme“ bei der Beschaffung von Rüstungsgütern „jetzt hinter uns gelassen“ worden seien. Damit spielte er auch auf einen Bericht des „Spiegel“ an, wonach die Bundesregierung kürzlich Exporte im Wert von über 250 Millionen Euro genehmigt hatte. Dazu zählen unter anderem Flugabwehrraketen und Torpedos für die türkische Marine sowie Ausrüstung zur Modernisierung von U-Booten und Fregatten.

Griechenland besorgt über deutsche Kehrtwende

Die neue deutsche Offenheit bei Rüstungslieferungen an die Türkei sorgt in Griechenland für Besorgnis. Das Land befürchtet, im Rüstungswettlauf mit seinem Erzfeind Türkei ins Hintertreffen zu geraten. Vor diesem Hintergrund lobte Scholz die jüngste Entspannung im Verhältnis zwischen Athen und Ankara. Die Kritik kurdischer Verbände in Deutschland, die der Türkei vorwerfen, im Kampf gegen die PKK und kurdische Rebellen in Syrien auch Zivilisten zu töten, ignorierte der Kanzler. Stattdessen betonte er, dass Deutschland Straftaten der PKK im eigenen Land bekämpfe – ganz im Sinne Erdoğans.

Neustart der Beziehungen zwischen Berlin und Ankara?

Schon im Vorfeld der Reise war in Berlin von einem „Neustart“ in den Beziehungen zur Türkei die Rede gewesen. Die Pressekonferenz in Istanbul lieferte dafür deutliche Anzeichen. Jahrelang waren die deutsch-türkischen Beziehungen von Kritik an Erdoğans autokratischem Kurs geprägt. Doch der Ukraine-Krieg hat die Sichtweise Berlins auf den NATO-Partner Türkei verändert, auch vor dem Hintergrund einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus.

Für Deutschland geht es um die Sicherung der Südflanke der NATO und darum, angesichts der nachlassenden Unterstützung für die Ukraine, die Kräfte zu bündeln. „Unsere Länder stehen eng an der Seite der Ukraine“, sagte Scholz in Istanbul. Ein Satz, der angesichts von Erdoğans enger Verbindung zu Putin bemerkenswert ist. Offenbar hofft man in Berlin darauf, die Gesprächskanäle des türkischen Präsidenten in den Kreml nutzen zu können. Deutschland sei darum bemüht, „auszuloten, wie es gelingen kann, dass dieser Krieg nicht immer weitergeht“, so Scholz.

Wiederaufnahme der Regierungskonsultationen geplant

Ein weiteres Zeichen der Annäherung zwischen Berlin und Ankara ist die Ankündigung von Scholz, die gemeinsamen Regierungskonsultationen wieder aufzunehmen. Diese hatten zuletzt im Jahr 2016 stattgefunden. „Die bilateralen Beziehungen, das haben wir beide hier gesagt, entwickeln sich sehr gut und sie werden auch weiter ausgebaut“, sagte Scholz.

Differenzen im Verhältnis zu Israel bleiben bestehen

Im November 2023, als Erdoğan Deutschland besuchte, standen die unüberbrückbaren Differenzen im Verhältnis zu Israel im Mittelpunkt. Dieser Graben hat sich seitdem nicht geschlossen. So empfing der türkische Außenminister Hakan Fidan am Freitag, nach dem Tod des Hamas-Führers Yahya Sinwar, eine Delegation der Hamas in Istanbul.

Angeführt wurde die Delegation von Mohammad Darwish, dem Leiter des Schura-Rats, der als möglicher Nachfolger Sinwars gehandelt wird. Fidan sprach den Palästinensern sein Beileid für den Tod Sinwars aus. Erdoğan selbst übte erneut scharfe Kritik an Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Er sprach von „Völkermord“ und sagte, Israel verspüre offenbar „Lust“ beim Töten feindlicher Anführer. Kritik an der deutschen Position vermied er jedoch und wich der Frage aus, ob sich die Türkei der Klage Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Deutschland wegen mutmaßlicher Beihilfe zum Völkermord anschließen werde. Scholz erklärte, es sei „kein Geheimnis“, dass man bei diesem Thema unterschiedliche Positionen habe.

Erdogan bemüht sich um Entspannung mit der EU

Seit seiner Wiederwahl im vergangenen Jahr bemüht sich Erdoğan um Entspannung in den Beziehungen zur EU. Ein Grund dafür ist die schwierige wirtschaftliche Lage der Türkei. Am Samstag nannte er Scholz seinen „werten Freund“ und sprach von einer „Schlüsselposition Deutschlands in der EU“. Kritische Themen wurden ausgeklammert, wie etwa der Streit um das Atomkraftwerk Akkuyu, das der russische Staatskonzern Gazprom in der Türkei baut.

Ankara hatte sich darüber beschwert, dass die Bundesregierung bisher keine Ausfuhrgenehmigung für die Lieferung von Siemens-Komponenten an das Kraftwerk erteilt habe. Dies habe zu mehrmonatigen Verzögerungen geführt. Die türkische Regierung drohte daraufhin mit Strafmaßnahmen gegen Siemens. Laut türkischen Medien stand dieses Thema am Samstag ebenfalls auf der Agenda im Dolmabahçe-Palast.

Quelle: F.A.Z.

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