Knapp 15 Jahre nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals an der Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim sind laut der Stiftung "Brücken bauen" 605.000 Euro an die Opfer ausgezahlt worden. Wie Ulrich Kühnhold von der Stiftung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mitteilte, umfasst der Kreis der Opfer, die sich bei der Stiftung gemeldet und Zahlungen erhalten haben, 50 Personen. Wie die Zeit berichtet, soll am 18. November auf dem Gelände des ehemaligen Elite-Internats ein Mahnmal für die Opfer systematischer sexueller Gewalt vorgestellt werden (Zeit Online, 15.11.2024).
Kühnhold betonte, dass die Arbeit der Stiftung noch nicht abgeschlossen sei und weiterhin mit Meldungen von Opfern gerechnet werden müsse. Er erklärte gegenüber dpa, dass einige Opfer bewusst auf Anträge verzichtet hätten, während andere sich scheuten, Anträge zu stellen, da die Auseinandersetzung mit dem erlittenen Leid alte Wunden wieder aufreißen würde. Der Zweck der Stiftung, so heißt es auf deren Website, sei die Unterstützung von Hilfsmaßnahmen für Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt an der Odenwaldschule geworden sind, finanziert aus dem Stiftungsvermögen, Spenden und Zuwendungen.
Das tatsächliche Ausmaß der sexuellen Gewalt an der Odenwaldschule ist jedoch weitaus größer. Studien der Universitäten Rostock und München legen nahe, dass mehr als zwei Dutzend Lehrkräfte und andere Mitarbeiter der Schule über Jahre hinweg an Hunderten von Verbrechen an Schutzbefohlenen beteiligt waren. Die Opfer erlitten sexuelle Gewalt, emotionale Ausbeutung und wurden durch die Vertuschung der Taten traumatisiert. Neben dem ehemaligen Schulleiter Gerold Becker soll es mindestens vier weitere Haupttäter gegeben haben. Das Missbrauchssystem durchdrang offenbar alle Hierarchieebenen der Schule.
Der Wissenschaftler Heiner Keupp, Mitglied der Aufarbeitungskommission der unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, sieht auch ein klares Versagen staatlicher Organe. Bereits in den 90er Jahren habe es Berichte über Missbrauch an der Odenwaldschule gegeben, ohne dass etwas unternommen wurde. Keupp betont die Notwendigkeit von Kontrollen und kritisiert, dass die Einrichtung nicht genauer untersucht wurde. Täter hätten davon profitiert, dass das Ansehen der Schule unantastbar schien. Erst das Bekanntwerden der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg im Jahr 2010 brachte die Thematik ins Rollen. Das Mahnmal sieht Keupp als wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur und als Zeichen dafür, dass die Geschichte der Betroffenen nicht in Vergessenheit gerät.
Der Verein "Glasbrechen", der sich für Betroffene von sexueller Gewalt an der Odenwaldschule einsetzt, kritisiert die Strafverfolgung. Auf der Website des Vereins heißt es, dass keiner der Täter rechtskräftig verurteilt worden sei. Einige seien verstorben, in den anderen Fällen seien die Verbrechen verjährt.
Die Odenwaldschule, an der einst Prominente wie Daniel Cohn-Bendit und Klaus Mann lernten, musste knapp 15 Jahre nach Bekanntwerden des Skandals Insolvenz anmelden. 2015 wurde der Schulbetrieb eingestellt. Das Gelände wurde von einer Unternehmerfamilie übernommen und umgebaut. Das Mahnmal, das auf Initiative und nach einem Entwurf des Kunstexperten und ehemaligen Odenwaldschülers Adrian Koerfer entstand, wird nun am Ort des Geschehens an das jahrelange Leid der Schüler erinnern. Unterstützt wird das Projekt unter anderem vom Land Hessen, dem Kreis Bergstraße und der Stadt Heppenheim. Das Land Hessen stellte dafür 40.000 Euro bereit (dpa).
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